Seite - 160 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Bild der Seite - 160 -
Text der Seite - 160 -
160 IV. Wunsch nach einem neuen Strafrecht
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
C. Die österreichische Reformdiskussion
in der Zwischenkriegszeit
1. Einleitung
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zerfall der österrei-
chisch-ungarischen Monarchie wurde die Reform des österreichischen
Strafrechts in der jungen Republik neuerlich in Angriff genommen.655
An die Regierungsvorlage 1913 knüpfte man allerdings nicht mehr an:
Noch während des Krieges hatte die Idee einer deutsch-österreichischen
Strafrechtsreform Gestalt angenommen.656 Das Verbot des Anschlusses
Österreichs an Deutschland nach 1919 657 verstärkte den Wunsch nach ei-
ner Anpassung und Vereinheitlichung zumindest auf rechtlicher Ebene.
Auf dem Gebiet des Strafrechts wurden diesbezüglich die größten An-
strengungen unternommen. Unter Aufgabe des eigenen Strafgesetzent-
wurfes zeigten sich die österreichischen Kräfte nach Kriegsende darum
bemüht, die Rechtseinheit mit Deutschland herzustellen.658
2. Deutsche Vorgeschichte – Vom Vorentwurf 1909 zum
Entwurf 1919
Das deutsche Reichsstrafgesetzbuch 1871 galt in gleichem Maße als re-
formbedürftig wie das österreichische Strafgesetz 1852. Eine 1906 im
deutschen Reichsjustizamt eingerichtete Kommission aus fünf prakti-
655 Hinsichtlich des Verfassungsrechts bestand zwischen der Monarchie und der Re-
publik ( formelle ) Diskontinuität, auf einfachgesetzlicher Ebene wahrte die Re-
publik allerdings Rechtskontinuität. Das Strafgesetz 1852 galt daher unverändert
weiter, vgl § 16 des Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung für
Deutschösterreich vom 30. Oktober 1918 über die grundlegenden Einrichtungen
der Staatsgewalt, StGBl 1918 / 1.
656 Vgl die Darstellung bei Kahl Wilhelm, Einheitliches Recht für Deutschland und Ös-
terreich, Jahrbuch für Auswärtige Politik 1929, 166 ( 170 ).
657 Art 88 Staatsvertrag von Saint Germaine-en-Laye vom 10. September 1919, StGBl
1920 / 303.
658 Vgl dazu auch Rittler Theodor, Lehrbuch I 2 21 f. Zum Versuch einer einheitlichen
österreichisch-deutschen Strafgesetzgebung vgl Kulke Lars, Die Bemühungen um
eine österreichische und deutsche Strafrechtsangleichung von 1918–1933 ( 2007 ).
Zu den Bemühungen um eine Strafrechtsvereinheitlichung in Mitteleuropa vgl
Mayenburg David von, Mitteleuropäische Strafrechtsvereinheitlichung – Interna-
tionale Zusammenarbeit versus Großraumkonzeption ( 1914–1933 ), in Duss Va-
nessa / Lindner Nikolaus / Kastl Katrin / Börner Christina / Hirt Fabienne / Züsli Felix ( hg ),
Rechtstransfer in der Geschichte. Legal Transfer in History ( 2006 ) 135.
zurück zum
Buch Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik