Seite - 166 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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166 IV. Wunsch nach einem neuen Strafrecht
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
» Die geschlechtliche Betätigung eines Menschen soll, insoweit
sie privat, in einer rücksichtlich des Objekts oder der Umstände
nicht schon an sich strafwürdigen Weise, weiters in einer nicht
ärgerniserregenden und nicht psychisch infektiösen Weise er-
folgt, der Judikatur des Strafrichters nicht unterliegen. « 684
Bei der Frage, durch welche Tathandlungen des Delikt verwirklicht wer-
den könne, griff Türkel dann allerdings doch zumindest implizit auf
sexualwissenschaftliche Erkenntnisse zurück: » Der praktische Krimi-
nalist weiß, daß die wenigsten Homosexuellen per anum verkehren,
häufiger findet man den coitus inter femora [ Schenkelverkehr ], am häu-
figsten den coitus in os und die mutuelle Masturbation «.685 Darüber
hinaus entbehre die Beschränkung auf beischlafähnliche Handlungen
auch jeglicher physiologischer und psychologischer Grundlage 686 und
brächte große Auslegungsschwierigkeiten für die Praxis mit sich.
Um einer weiteren Verbreitung der Homosexualität entgegenzuwir-
ken, müsse die homosexuelle Prostitution unter Strafe gestellt werden,
desgleichen das Anbieten der beziehungsweise die Bereiterklärung zur
gewerbsmäßigen gleichgeschlechtlichen Unzucht. Schärfer sei auch
der Straftatbestand der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Jugendli-
chen zu fassen. Es käme hier nicht auf das Tatbestandsmerkmal der
» Verführung « an, vielmehr habe der » volljährige Homosexuelle [ … ] den
Jugendlichen zu meiden. « Die Nötigung zur homosexuellen Unzucht;
der Missbrauch eines bewusstlosen, geisteskranken oder widerstands-
unfähigen Mannes; die Nötigung eines wirtschaftlich Abhängigen zur
widernatürlichen Unzucht; Unzucht wider die Natur mit Verwandten;
gleichgeschlechtliche Unzucht mit Pflegebefohlenen, Konfirmanden,
Schülern, Zöglingen und minderjährigen Pflegebefohlenen müsse un-
ter Strafe gestellt werden.687 Auch hinsichtlich der weiblichen Homo-
sexualität sei eine entsprechende Strafbarkeit für qualifizierte Fälle zu
erwägen.688
684 Türkel Siegfried in Gleispach Wenzeslaus ( hg ), Strafgesetz-Entwurf 168.
685 Türkel Siegfried in Gleispach Wenzeslaus ( hg ), Strafgesetz-Entwurf 168 ( Hervorhe-
bungen im Original ).
686 Ausführlich dazu Kapitel II.
687 Vgl Türkel Siegfried in Gleispach Wenzeslaus ( hg ), Strafgesetz-Entwurf 169.
688 Vgl Türkel Siegfried in Gleispach Wenzeslaus ( hg ), Strafgesetz-Entwurf 170. Hinsicht-
lich des deutschen Entwurfes ging Türkel davon aus, dass der Text eine diesbezüg-
liche Strafbarkeit zulasse.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik