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170 IV. Wunsch nach einem neuen Strafrecht
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Der Radbruchsche Entwurf sprach nicht mehr von » Sittlichkeitsde-
likten «, sondern gab dem 20. Abschnitt die Überschrift » Unzucht «. Mit
Strafe bedrohte § 260 des Entwurfs die Verführung eines männlichen
Jugendlichen durch einen erwachsenen Mann zur Unzucht, ferner die
gewerbsmäßige Unzucht unter Männern und den Missbrauch einer
durch Dienst- oder Arbeitsverhältnis begründeten Abhängigkeit zur Un-
zucht. In besonders schweren Fällen war als Strafe strenges Gefängnis
bis zu fünf Jahren vorgesehen.699 Die Bemerkungen, die der Radbruch-
sche Entwurf zum Besonderen Teil des Strafgesetzentwurfes enthielt,
waren denkbar kurz. Bei der Unzucht mit Tieren, die sich im Entwurf
nicht mehr als Delikt fand, handle es sich um eine » Verirrung, deren
strafrechtliche Behandlung eher schaden als nützen kann. « 700 Hinsicht-
lich der Unzucht zwischen Männern begnügte sich der Radbruchsche
Entwurf mit einer Aufzählung der strafbaren Formen, eine Begründung
für die Straflosigkeit der einfachen Unzucht zwischen Männern oder
die Strafbarkeit der angeführten Fälle lieferte er nicht.701
Im Mai 1923 wurden die Anträge zusammengefasst, die mehrere
Reichsministerien zum Entwurf Radbruch erstattet hatten. Die ge-
wünschte Rechtsangleichung mit Österreich, das dringenden Bedarf
an einer Novellierung des Strafrechts hatte, verlangte eine zügige Fort-
setzung der Reformarbeiten. Über die Änderungswünsche der Reichs-
ressorts, die auch die gleichgeschlechtliche Unzucht einschlossen, er-
zielte man Einvernehmen: Die allgemeine Strafbarkeit der Unzucht
zwischen Männern sollte wieder hergestellt werden, die Tatbestände
des § 260 des Radbruchschen Entwurfs sollten daneben als Schärfungs-
tatbestände bestehen bleiben.702
schüsse des Reichstags ( 1995 ) XI. Ausführlich zum Entwurf Radbruch vgl Goltsche
Friederike, Entwurf.
699 Vgl Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches ( 1922 ) 31.
700 Gustav Radbruchs Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches ( 1922 ).
Mit einem Geleitwort von Bundesjustizminister Dr. Thomas Dehler und einer Ein-
leitung von Professor Dr. Eberhard Schmidt ( 1952 ) 63.
701 Nach Goltsche könnte die Straflosigkeit der einfachen gleichgeschlechtlichen Un-
zucht unter Männern im Radbruchschen Entwurf unter anderem auch auf den
österreichischen Einfluss zurückzuführen sein, vgl Goltsche Friederike, Entwurf
206. Radbruch setzte damit die von Feuerbach geforderte Trennung von Recht und
Moral um, die an aufklärerische Forderungen anknüpfte, vgl Roth Andreas, Fauler
Kompromiss oder mutiges Reformwerk ? Rechtsgeschichte – Legal History Rg 20
( 2012 ) 450.
702 Vgl Schubert Werner ( hg ), Quellen. I. Abteilung. Band 1, XIV sowie XVII.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik