Seite - 176 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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176 IV. Wunsch nach einem neuen Strafrecht
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
rannahmen aus: Zum einen sei breiten Kreisen die » Tatsache, daß es
Menschen gibt, die, vom Erwachen ihres Trieblebens an, trotz aller ge-
genteiligen Bemühungen nur für das eigne Geschlecht erotisch emp-
finden können, unbekannt « 720; zum anderen werde an der falschen
Annahme festgehalten, gleichgeschlechtliche Handlungen würden vor
allem in Form des Analverkehrs und durch Verführung Jugendlicher
ausgeübt. Die Pflicht des Gesetzgebers, dem Rechtsempfinden des Vol-
kes zu entsprechen, sei aber nur eine sehr bedingte. Vielmehr habe er
dieses Rechtsempfinden » im Sinne der fortgeschrittenen wissenschaft-
lichen Erkenntnisse zu beeinflussen und zu ändern. « 721
Das Kartell erachtete vor allem » die Tatsache einer besonderen
physisch-psychischen Konstitution der Homosexuellen « 722 als wissen-
schaftlich erwiesen. Nach Ansicht des Kartells ließ sich die » Homose-
xualität « nicht nur in psychologischer Hinsicht, sondern auch durch
» sichtbare anatomische Eigentümlichkeiten des homosexuellen Indi-
viduums « 723 nachweisen. Mit diesem essentialistischen Argument ver-
suchte das Kartell seine Auffassung zu untermauern, es handle sich » bei
der Homosexualität um eine örtlich und zeitlich allgemein ausgebrei-
tete Erscheinung und, ihrem Wesen nach, um die Äußerung einer tief
innerlichen konstitutionellen Anlage « 724. Damit konnte sowohl der in
den österreichischen als auch in den deutschen Strafgesetzausschüssen
immer wieder vertretenen Ansicht entgegengetreten werden, die gleich-
geschlechtliche Unzucht stelle ein » Laster « dar.725
Eine positive Besprechung erfuhr die Schrift in der deutschen Ju-
ristischen Wochenschrift durch Mittermaier, der auch zu den Unter-
stützern des Wissenschaftlich-humanitären Komitees zählte. Er lobte
die Arbeit des Kartells als wichtig und hob insbesondere ihren wissen-
schaftlichen Wert hervor. Der Gesetzgeber solle nicht an den Forde-
rungen des Gegen-Entwurfs vorübergehen. Seine Absicht liege nicht
etwa in einer Lockerung der Sitten, sondern in einer » Vertiefung des
ethischen Bewusstseins, einer klareren Einsicht in physiologische und
720 Kartell für Reform des Sexualstrafrechts, Gegen-Entwurf 44.
721 Kartell für Reform des Sexualstrafrechts, Gegen-Entwurf 45.
722 Kartell für Reform des Sexualstrafrechts, Gegen-Entwurf 49.
723 Kartell für Reform des Sexualstrafrechts, Gegen-Entwurf 49 ( Hervorhebung im Ori-
ginal ).
724 Kartell für Reform des Sexualstrafrechts, Gegen-Entwurf 39.
725 Zur Verknüpfung von Körper und Charakter im Gegen-Entwurf vgl auch Kerchner
Brigitte in Hardtwig Wolfgang ( hg ), Kulturgeschichte 267.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik