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196 V. Das Verfahren
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Laienrichterinnen über Schuld und Strafe befanden und schließlich, ob
und welche Rechtsmittel gegen allfällige Urteile ergriffen werden konn-
ten. Die gesetzliche Ausgestaltung des Strafprozesses hatte damit nicht
nur Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens, die Wahrscheinlichkeit ei-
ner Verurteilung und das zu erwartende Strafmaß: Sie bildete auch den
Hintergrund, vor dem sich die Aussagen der einzelnen am Verfahren
beteiligten Akteure und Akteurinnen vollzogen und vollziehen konn-
ten.795 Wie die Ver- und Aushandlungsprozesse in Unzuchtsverfahren
im Einzelnen verliefen, welche Argumentationsfiguren den Beteiligten
zur Verfügung standen, welche lebensgeschichtlichen Details neben
und über die inkriminierte Handlung hinaus die Strafverfolgungsbe-
hörden interessierten und was letztendlich zum Inhalt der Gerichtsak-
ten wurde, war durch das Strafprozessrecht geprägt.
Den äußeren Rahmen der untersuchten Strafverfahren wegen des
Verbrechens der Unzucht wider die Natur mit Personen desselben Ge-
schlechts steckten die in den Jahren 1918 bis 1938 gültigen strafprozessu-
alen Bestimmungen ab. Hinsichtlich der Struktur des Strafverfahrens
reichen die Wurzeln des » modernen « österreichischen Strafverfahrens-
rechts bis auf die Constitutio Criminalis Theresiana zurück: Sie hatte
nicht nur im Bereich des materiellen Strafrechts, sondern auch hin-
sichtlich der » peinlichen Verfahrung « erstmals für die gesamte Monar-
chie einheitliches Recht geschaffen.796 Die Ideen der Aufklärung konn-
ten sich im Strafverfahren allerdings nur langsam durchsetzen. Zu einer
bedeutsamen Wende kam es schließlich im Gefolge der Revolutionen
des Jahres 1848: Erstmalig tauchte hier der Gedanke eines liberalen, den
Grundsätzen der Demokratie verpflichteten Strafverfahrens in Öster-
reich auf, der sich nach Rückschlägen insbesondere in der Epoche des
Neoabsolutismus in der Strafprozessordnung der konstitutionellen Mo-
narchie Österreich-Ungarn durchsetzen konnte. Damit war der Über-
gang » von einem geheimen, schriftlichen, auf ein Geständnis zielenden
Verfahren mit fast ausschließlicher Verantwortung des Richters, ohne
795 Vgl zu dieser Funktion strafprozessualer Normen auch Czech Philip, Der Kaiser ist
ein Lump und Spitzbube. Majestätsbeleidigung unter Kaiser Franz Joseph ( 2010 )
117.
796 Siehe dazu Kapitel II. Zur starken Zersplitterung im österreichischen Justizwesen
im 18. Jahrhundert vgl Lehner Oskar, Von der Kabinettsjustiz zur Unabhängigkeit
der Richter – Die Stellung der österreichischen Justiz im 18. und 19. Jahrhundert,
in Weinzierl Erika / Stadler Karl R. ( hg ), Justiz und Zeitgeschichte VI. Zur Geschichte
der richterlichen Unabhängigkeit in Österreich ( 1987 ) 1.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik