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Entwicklung des » modernen « Strafverfahrens bis 1918
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
rechtlich gesicherte Stellung des Beschuldigten « 797 hin zum » reformier-
ten Strafprozess « vollzogen: Das Strafverfahren war dem Grundsatze
nach den Prinzipen der Öffentlichkeit und Mündlichkeit, der Trennung
zwischen anklagender und richtender Behörde und der Laienbeteili-
gung verpflichtet. Es galt auch nach dem Ende des Ersten Weltkriegs als
Strafverfahrensrecht der Republik Österreich, wobei einige einschnei-
dende, zum Teil nachkriegsbedingte strafprozessuale Entwicklungen
die Rahmenbedingungen des Strafverfahrens nochmals in entschei-
dender Weise veränderten und prägten.
B. Entwicklung des » modernen « Strafverfahrens bis 1918
Das Strafverfahrensrecht der Theresiana beruhte auf den Grundsätzen
des Inquisitionsprozesses. Verfolgungs- und Entscheidungsbefugnisse
waren beim Gericht konzentriert, das Strafverfahren war als heimlicher
und schriftlicher Prozess ausgestaltet. Die Beschuldigten erfuhren nichts
über die gegen sie vorliegenden Verdachtsgründe. Auch nach Ende der
Untersuchung erhielten sie keinen Verteidiger, lediglich eine dreitägige
Bedenkzeit wurde ihnen zugestanden, um etwaige Verteidigungsbehelfe
vorzubringen. Als wichtigstes Beweismittel galt das Geständnis: War die-
ses trotz Ermahnung nicht zu erlangen, so konnte die Folter angewendet
werden.798 Eine neue Epoche in der Entwicklung des österreichischen
Prozessrechtes setzte ein, als mit allerhöchster Entschließung vom 2. Jän-
ner 1776 die Folter aufgehoben wurde.799 Die Bedeutung des Geständ-
nisses, das dem Inquisitionsprozess als einziger unumstößlicher Beweis
für die Schuld gegolten hatte, begann damit allmählich zu schwinden.800
Die mit Patent vom 17. Juni 1788 801 erlassene allgemeine Kriminal-
gerichtsordnung Joseph II. hob schließlich den verfahrensrechtlichen
Teil der Theresiana zur Gänze auf, behielt deren Geist jedoch bei: Für
797 Vgl Naucke Wolfgang, Die Stilisierung von Sachverhaltsschilderungen durch mate-
rielles Strafrecht und Strafprozeßrecht, in Schönert Jörg ( hg ), Erzählte Kriminalität.
Zur Typologie und Funktion von narrativen Darstellungen in Strafrechtspflege,
Publizistik und Literatur zwischen 1770 und 1920 ( 1991 ) 59 ( 65 ).
798 Vgl Vargha Julius, Das Strafprozessrecht. Systematisch dargestellt 2 ( 1907 ) 10.
799 Siehe Lohsing Ernst, Strafprozeßrecht 3 15 mit weiteren Nachweisen.
800 Vgl Vargha Julius, Strafprozessrecht 2 10; Rulf Friedrich / Gleispach Wenzeslaus, Der
österreichische Strafprozeß mit Berücksichtigung der Rechtsprechung des Kassa-
tionshofes 4 ( 1913 ) 8.
801 Patent vom 17. Junius 1788, JGS 848.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik