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212 V. Das Verfahren
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Höchstmaß gebunden.871 Im vereinfachten Verfahren trat an die Stelle
der Anklageschrift der Strafantrag des Staatsanwalts. Dieser enthielt
weder eine Begründung noch wurde er den Beschuldigten zugestellt,872
musste aber die den Beschuldigten zur Last gelegte Tat deutlich und
individualisierend bezeichnen.873 Hatte eine Voruntersuchung stattge-
funden, war der Antrag beim Untersuchungsrichter einzubringen, sonst
unmittelbar beim Einzelrichter. Die Möglichkeit des Einspruches an
das Oberlandesgericht wie gegen die Anklage im ordentlichen Verfah-
ren gab es nicht, auch der Einzelrichter konnte den Inhalt des Strafan-
trages vor und außerhalb der Hauptverhandlung keiner Überprüfung
unterziehen. Von Amts wegen war eine Prüfung des Antrages durch den
Untersuchungsrichter und die Ratskammer vorzunehmen.874
Um das Fehlen erstinstanzlicher Garantien wie des Einspruches
auszugleichen, sollten nur besonders qualifizierte Richter zu Einzel-
richtern in Verbrechens- und Vergehensfällen berufen werden ( Art II
Strafprozeßnovelle 1918 ). Außerdem war gem § 500 Z 1 StPO 1873 idF der
Strafprozeßnovelle 1918 für das vereinfachte Verfahren eine Pflichtver-
teidigung vorgesehen. Hatten Beschuldigte nicht schon im Vorverfah-
ren einen Verteidiger bestellt oder dem Gericht innerhalb angemesse-
ner Frist nach der Vorladung zur Hauptverhandlung namhaft gemacht,
so musste von Amts wegen ein Verteidiger für das ganze Verfahren be-
stellt werden.875 Die Strafprozeßnovelle 1924 erlaubte Beschuldigten, die
das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatten, die Ablehnung der Bestel-
lung eines Pflichtverteidigers ( Art I Z 2 ). Gegen Urteile im vereinfachten
Verfahren war die » volle « Berufung wegen vorliegender Nichtigkeits-
gründe, wegen des Ausspruchs über die Schuld, die Strafe und wegen
der Entscheidung über privatrechtliche Ansprüche das allein zulässige
871 Hielt der Einzelrichter eine strengere Strafe für angemessen, hatte er die Hauptver-
handlung ( und damit das Verfahren ) gem § 500 Z 8 StPO 1873 idF der Strafprozess-
novelle 1918 abzubrechen. Diesfalls hatte der Staatsanwalt binnen drei Tagen seine
Anträge wegen Einleitung des gesetzlichen Verfahrens einzubringen, vgl Kastner
Oswald, Aus der Werkstatt des vereinfachten Verfahrens, Gerichts-Zeitung 1919, 145
( 216 ).
872 Vgl Steininger Einhard in Weinzierl Erika / Ardelt Rudolf ( hg ), Justiz VII 60; sowie Löff-
ler Alexander, Strafprozeßnovelle 84.
873 Ausführlich dazu Kastner Oswald, Gerichts-Zeitung 1919, 145 f. Siehe auch Gleispach
Wenzeslaus, Das österreichische Strafverfahren. Systematisch dargestellt 2 ( 1924 ) 335.
874 Vgl Löffler Alexander, Strafprozeßnovelle 84.
875 Eingehend dazu sowie insbesondere zur Abgrenzung vom so genannten Armen-
verteidiger vgl Kastner Oswald, Gerichts-Zeitung 1919, 148 f.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik