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Das österreichische Strafverfahrensrecht in der Zwischenkriegszeit
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
beschränkt. Bei Delikten der mittleren und Schwerkriminalität waren
die Schöffengerichte zuständig. Zum Schöffen- und Geschworenenamt
konnten nunmehr Männer wie Frauen berufen werden. Das Gesetz über
die Bildung der Geschwornen- und Schöffenlisten ( Geschworenenlis-
tenG ) 893 erlaubte es Frauen jedoch in § 4 Z 6 GeschworenenlistenG 894
die Tätigkeit als Schöffin oder Geschworene abzulehnen.895
Berufsrichter und Schöffen sowie Schöffinnen waren im Rahmen
der Kollegialgerichtsbarkeit bei den Gerichtshöfen erster Instanz in
gleicher Zahl vertreten. Innerhalb der Schöffensenate fungierte einer
der Berufsrichter als Vorsitzender ( § 13 Z 2 StPO 1873 ). Die Beschlussfas-
sung erfolgte durch mündliche Abstimmung, die Schöffen und Schöf-
finnen stimmten vor den Berufsrichtern ab. Für eine einfache Mehrheit
bedurfte es drei der vier Stimmen, somit konnte weder durch die Schöf-
fen und Schöffinnen noch durch die Berufsrichter allein eine Verurtei-
lung erfolgen. Bei Stimmengleichheit gab die dem oder der Angeklag-
ten günstigere Meinung den Ausschlag ( § 20 StPO 1873 ).896
Durch die Zuständigkeit für die mittleren und schweren Delikte war
der tatsächliche Umfang der Schöffengerichtsbarkeit wesentlich größer
als jener der Geschworenengerichte. Umgekehrt schränkte allerdings die
Möglichkeit des vereinfachten Verfahrens vor dem Einzelrichter den Um-
fang des Schöffengerichts wesentlich ein.897 Im Landesgerichtssprengel
gesetzes, des Preßgesetzes und des Einführungsgesetzes zur Strafprozeßordnung
abgeändert werden ( Strafgesetznovelle 1929 ), BGBl 1929 / 440. Zu den politischen
Hintergründen dieser Entwicklung vgl Sadoghi Alice, Thesen 82 ff.
893 IdF der Strafprozeßnovelle vom Jahr 1920.
894 Eingeführt durch Gesetz vom 23. Jänner 1919 über die Änderung einiger Bestim-
mungen des Gesetzes vom 23. Mai 1873, R.G.Bl. Nr. 121, betreffend die Bildung der
Geschwornenlisten, StGBl 1919 / 37.
895 Gleispach hielt die unterschiedslose Befreiung der Frauen für verfehlt, es handle
sich bei der Tätigkeit als Laienrichterin nicht um ein » Frauenrecht « sondern
um eine soziale Pflicht, vgl Gleispach Wenzeslaus, Strafverfahren 2 94. Mittermaier
schloss aus der Bestimmung des § 4 Z 6, dass Frauen » also wohl praktisch nie be-
rufen « würden, vgl Mittermaier Wolfgang, Das österreichische Strafverfahren ( 1933 )
9. Tatsächlich wurden in Verfahren wegen § 129 I b StG 1852 beim Landesgericht
Linz in den Jahren 1928 bis 1937 auch Frauen zu Schöffinnen bestellt, siehe etwa
OÖLA, BG / LG Linz Sch 335, 6 Vr 1309 / 28, Urteil vom 29. Jänner 1929; OÖLA, BG / LG
Linz Sch 384, 6 Vr 220 / 32, Urteil vom 25. Februar 1932. Allerdings erfolgte die Be-
stellung von Frauen zum Schöffenamt in einem weitaus geringeren Maß als bei
Männern. In jenen Fällen, in denen Frauen als Schöffinnen tätig waren, bekleide-
ten sie jeweils nur eine der beiden Laienrichterpositionen.
896 Vgl Lohsing Ernst, Strafprozeßrecht 3 84 f.
897 Siehe auch Gleispach Wenzeslaus, Strafverfahren 2 62.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik