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Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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256 VI. Veranlassungsgründe der Strafverfahren Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft¶ An diesem Beispiel lassen sich zwei Aspekte privater Strafanzeigen verdeutlichen: Zum einen ging der eigentlichen Anzeige ein längerer Prozess voraus, innerhalb dessen die Möglichkeit einer Strafanzeige zwar im Raum stand, zunächst jedoch andere Wege der Konfliktlösung erwogen wurden.1071 Erst als diese nicht zum Ziel führten, wurde die » [ l ] öbliche Polizei-Direktion [ . ] [ i ]m Interesse der Moral und des Rechtes « angerufen. Die private Anzeige stellte hier also einen » Akt des Konflikts « dar: Der bis zu diesem Zeitpunkt private Konflikt verlagerte sich auf eine andere Ebene. Damit verbunden war die Hoffnung, durch die Strafjus- tiz möglicherweise dort Genugtuung zu erlangen, wo man innerhalb sozialer Verhältnisse gescheitert war.1072 Zum anderen fungierte die An- zeige als Mittel sozialer Wirklichkeitsrekonstruktion.1073 Durch den Ge- schlechtsverkehr, zu dem sich Marie S., die nach eigener Aussage noch Jungfrau gewesen war, dem Franz Z. » nur unter der Bedingung hinge- geben habe, dass er [ sie ] heiratet « 1074, war ihre Ehre bedroht. Das ge- brochene Eheversprechen führte schließlich zu ihrer Entehrung.1075 Für diese Ehrverletzung bot das Strafrecht zwar einen Rechtsbehelf, indem es in § 506 StG 1852 die » Entehrung unter der Zusage der Ehe « als Offizi- aldelikt mit Arreststrafe bedrohte.1076 Die von Marie S. und ihrer Mutter verfolgte Strategie richtete sich zunächst jedoch darauf, die Ehre von Marie S. zu retten oder wenigstens gleiches mit gleichem zu vergelten: Die Geschlechtsehre des Mannes, die nach herrschender Auffassung an- ders als jene der Frau allein durch Unzucht wider die Natur gefährdet 1071 Durch Konfrontation der Verdächtigen konnte man sich einer Straftat, die man bis dahin nur vermutet hatte, auch noch einmal vergewissern: Als der Schuhmacher Anton E. erfuhr, dass sein Sohn vom ehemaligen Ortspfarrer Karl K. verführt wor- den war, schrieb er zunächst persönlich an K., der in seinem Antwortschreiben um Verschwiegenheit ersuchte und auf seine schlechte Gesundheit hinwies. Erst nach Erhalt dieses Schreibens erstattete E. die Anzeige, OÖLA, BG / LG Linz Sch 356, 6 Vr 312 / 30, Anzeige vom 20. Februar 1930. Im darauffolgenden Strafverfahren diente der Brief des Pfarrers als Beweismittel. 1072 Dazu Ortmann Alexandra, Machtvolle Verhandlungen. Zur Kulturgeschichte der deutschen Strafjustiz 1879–1924 ( 2014 ) 244 ff. 1073 Vgl Kürzinger Josef, Strafanzeige 12. 1074 OÖLA, BG / LG Linz Sch 436, 6 E Vr 1346 / 34, Niederschrift vom 13. Juli 1934. 1075 Vgl Frevert Ute, Ehre – männlich / weiblich. Zu einem Identitätsbegriff des 19. Jahr- hunderts, in Volkov Shulamit / Stern Frank ( hg ), Neuere Frauengeschichte. Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte Band XXI ( 1992 ) 21 ( 54 f ). 1076 Zivilrechtliche Ansprüche der » Entehrten « auf Entschädigung ließ § 506 StG 1852 unberührt. Ob Marie S. die Möglichkeit bewusst war, Franz Z. wegen des Verge- hens nach § 506 StG 1852 anzuzeigen oder ob sie erst anlässlich ihrer Vernehmung durch die Polizei darüber aufgeklärt wurde, lässt sich aus dem Akt nicht schließen.
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Verkehrte Leidenschaft Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
Titel
Verkehrte Leidenschaft
Untertitel
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Autor
Elisabeth Greif
Verlag
Jan Sramek Verlag
Ort
Wien
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-7097-0205-5
Abmessungen
15.0 x 23.0 cm
Seiten
478
Kategorie
Recht und Politik
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