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Anzeigen durch Privatpersonen
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
den unzüchtige Handlungen begehen sollen. « 1085 Durch die Vertraulich-
keit der Anzeige ließ es sich vermeiden, anlässlich eines Strafverfahrens
mit Hilda K. in Verbindung gebracht zu werden, die als Prostituierte als
sozial stigmatisiert gelten musste. Auch die unangenehme Frage, wie
der Anzeiger oder die Anzeigerin überhaupt von den Unzuchtsakten
Kenntnis erlangt hatte, konnte auf diese Weise unterbleiben.1086
3. » Das allgemeine Krankenhaus Linz teilte mit [ … ], daß
sich dort ein Fall von lesbischer Liebe ereignet habe « –
Anzeigen durch unbeteiligte Dritte
Private Strafanzeigen durch unbeteiligte Dritte, die unter Offenlegung
des eigenen Namens erstattet wurden, ergingen vor allem dort, wo zwei
Bedingungen zusammentrafen: Die Möglichkeit, unzüchtige Handlun-
gen wahrzunehmen und die Bereitschaft, sich dem staatlichen Rechts-
regime und der staatlichen Disziplinierung unterzuordnen und sich an
staatlich-rechtlicher Herrschaft und Kontrolle zu beteiligen.1087 Diese
Voraussetzungen waren vor allem an solchen Orten erfüllt, an denen
Personen unter besonderer Beobachtung standen. Dazu zählten neben
Herbergen, Nachtquartieren oder Schulen jene Institutionen, die ein
hohes Maß an sozialer Kontrolle aufwiesen und in denen sich bereits
als deviant eingestufte Personen befanden, wie Krankenhäuser oder
Gefängnisse. Gleichzeitig schienen die genannten Orte prädestiniert
für unzüchtige Handlungen: Dass » perverse Akte « in » Gefängnissen,
Schiffen, Kasernen, Pensionaten, Internaten « 1088 gehäuft vorkamen,
galt auch in der Sexualwissenschaft als gesichertes Wissen.
Das Gefängnis stellte zwar öfter den Ort männlicher Unzuchtshand-
lungen dar,1089 im Winter 1924 konnte der Gefangenenaufseher Franz St.
1085 OÖLA, BG / LG Linz Sch 337, 6 Vr 489 / 28, Meldung vom 4. April 1928.
1086 Zur Stigmatisierung von Prostituierten und ihrer » Aussperrung « aus der bürgerli-
chen Welt vgl Becker Peter, Verderbnis 117 ff.
1087 Vgl Pilgram Arno in Hanak Gerhard / Pilgram Arno ( hg ), Phänomen 122.
1088 Gräf Heinrich, Über die gerichtsärztliche Beurteilung perverser Geschlechtstriebe,
Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik, Bd 34, 1909, 34 ( 66 ). Für
Hirschfeld handelte es sich dabei häufig um » homosexuelle Betätigung als Surro-
gathandlung, › faute de mieux ‹ « und als solche um » pseudohomosexuelle Akte «,
Hirschfeld Magnus, Homosexualität 193. Siehe auch Krafft-Ebing Richard von, Psy-
chopathia 12 210 sowie 415.
1089 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 305, Vr VI E 693 / 24; OÖLA, BG / LG Linz Sch 333, 6 Vr
37 / 28; OÖLA, BG / LG Linz Sch 468, 6 Vr 2665 / 35.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik