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Zusammenfassung
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Unzucht. Im autoritären politischen Klima des Austrofaschismus ge-
rieten schließlich auch bis dahin mögliche und unverfängliche Kom-
munikationsformen unter Verdacht. Personen, die eine weit reichende
Korrespondenz unterhielten, wurde etwa nur allzu leicht eine verbo-
tene politische Betätigung unterstellt. In einigen Fällen lagen dem aus-
gedehnten Briefwechsel allerdings keine politischen Motive zugrunde,
sondern die Sehnsucht nach Intimität und Austausch.
Während im städtischen Raum die Hälfte aller Anzeigen auf Wahr-
nehmungen der Sicherheitsbehörden zurückging, war die Gendarme-
rie auf dem Land ganz wesentlich auf die Mitwirkung der Bevölkerung
angewiesen, um gleichgeschlechtliche Unzucht zu » entdecken «. Die
Motive, die Privatpersonen dazu bewogen, unzüchtige Handlungen an-
zuzeigen, waren vielschichtig. Durch den Zuwachs an populärwissen-
schaftlichem Wissen über sexuelle » Abweichungen « lernte eine breite
Schicht, nicht nur unzüchtige Handlungen, sondern auch entspre-
chend Veranlagte zu erkennen. Damit es tatsächlich zu einer Anzeige
kam, musste jedoch – insbesondere wenn es sich um Anzeigen durch an
der Tat unbeteiligte Personen handelte – häufig noch ein privater Kon-
flikt hinzutreten oder das unzüchtige Verhalten als besonders verwerf-
lich eingestuft werden, etwa weil es sich in der Öffentlichkeit abspielte
oder gegen Kinder richtete. Naturgemäß hoch war die soziale Kont-
rolle in Institutionen wie Schulen, Gefängnissen oder Krankenhäu-
sern. Wurden unzüchtige Handlungen innerhalb dieser Einrichtungen
bekannt, informierte man im Regelfall umgehend die Behörden. Die-
ser Kontrolle unterlagen vor allem Frauen dann in besonderem Maße,
wenn sie unverheiratet waren und somit der privaten Sozialkontrolle
durch den Ehemann » entbehrten «.
Durch die weite Auslegungspraxis des Obersten Gerichtshofs im
Hinblick auf den Tatbestand der gleichgeschlechtlichen Unzucht fie-
len ab der Jahrhundertwende auch Fälle sexueller Gewalt an Kindern
unter § 129 I b StG 1852. Sie wurden häufig durch Familienangehörige
zur Kenntnis der Behörden gebracht. Während Minderjährige, die das
vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, meist als schuld-
los angesehen wurden, setzten Anzeigen gegen die » Verführer « Jugend-
licher häufig auch Strafverfahren gegen die beteiligten Jugendlichen
in Gang. Einer geringeren Gefahr verdächtigt zu werden setzten sich
» Opfer « unerwünschter sexueller Annäherungen oder sexueller Über-
griffe aus, wenn sie unmittelbar nach der Tat selbst Anzeige erstatte-
ten. Wer unbekannten Personen Geld für sexuelle Handlungen bot,
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Buch Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik