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Das Suchen und Finden von Beweisen
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Beweis erbringen wollten, dass eine Unzuchtshandlung stattgefunden
hatte oder zumindest versucht worden war. Die Protokolle über Zeu-
genaussagen und Beschuldigtenvernehmung bildeten daher regelmä-
ßig den Großteil des Aktenmaterials in Unzuchtsverfahren.1241
Neben den unterschiedlichsten Sachbeweisen galt der Zeugenbe-
weis als Hauptelement des Beweises im modernen Strafprozess.1242 Die
Zeugenschaft einer Person bestand in ihrer mündlichen Aussage über
Tatsachen, die sie selbst wahrgenommen hatte. Allerdings schloss das
österreichische Strafverfahrensrecht auch bloße Zeugnisse vom » Hö-
rensagen « nicht aus.1243 Jede Person, die zu einer vernünftigen Äuße-
rung imstande und damit zeugnisfähig war – dazu zählten auch Kin-
der –, traf gem § 150 StPO 1973 grundsätzlich die Zeugnispflicht.1244 Sie
umfasste das Erscheinen bei Gericht, das wahrheitsgemäße Ablegen
des Zeugnisses, die Mitwirkung bei der Identifizierung von Personen
und Gegenständen sowie bei Gegenüberstellungen und schließlich das
Beschwören des abgelegten Zeugnisses durch einen Eid.1245 Die Erfül-
lung der Zeugnispflicht konnte durch Zwangsmaßregeln wie Geldstra-
fen, zwangsweise Vorführung oder Arrest durchgesetzt werden.1246 Nicht
von der Erscheinungs-, aber von der Aussagepflicht waren Personen be-
freit, die aufgrund einer » Leibes- oder Gemütsbeschaffenheit « nicht in
der Lage waren, die Wahrheit zu sagen. Sie galten gem § 151 Z 3 StPO
1873 als absolut zeugnisunfähig. Eine bloß relative Zeugnisunfähigkeit
bestand gem § 151 Z 1 StPO 1873 bei Geistlichen, die über jene Dinge,
die ihnen während der Beichte oder sonst unter dem Siegel der geistli-
1241 Das Ausmaß, in dem Vernehmungen im Vorverfahren protokolliert wurden, resul-
tierte nicht zuletzt daraus, dass die Praxis das Schwergewicht auf das Vorverfahren
und nicht auf die Hauptverhandlung legte. Kritisch dazu Amschl Alfred, Beiträge I 2 28.
1242 Vgl Glaser Julius, Zur Kritik des Zeugenbeweises im Strafproceß, Der Gerichtssaal
1881, 1. Zur Bedeutung des Zeugenbeweises auch Glaser Julius, Beiträge zur Lehre
vom Beweis im Strafprozess ( 1883 ) 194 ff.
1243 Vgl Lohsing Ernst, Strafprozeßrecht 3 239 ff. Kritisch dazu Vargha Julius, Strafprozess-
recht 2 244.
1244 Nach dem Verständnis der österreichischen Strafprozeßordnung 1873 kamen als
Zeuginnen und Zeugen nur Personen in Betracht, die sowohl von dem oder der
Beschuldigten als auch vom zuständigen Gericht verschieden waren, vgl Vargha
Julius, Strafprozessrecht 2 243.
1245 Vgl Lohsing Ernst, Strafprozeßrecht 3 241 f.
1246 Es kam in den hier untersuchten Fällen allerdings nur zweimal vor, dass Zeugen
einer Vorladung nicht Folge leisteten, vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 388, 6 Vr 573 / 32,
Protokoll der Hauptverhandlung sowie OÖLA, BG / LG Linz Sch 468, 6 Vr 2665 / 35,
Protokoll der Hauptverhandlung. In beiden Fällen hatten die Zeugen bereits im
Vorverfahren ausgesagt.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik