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292 VII. Von der Anzeige zur Anklage
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Stattdessen empfahlen kriminalpsychologische Schriften den Verneh-
menden vor allem Geschlecht und Alter der aussagenden Person, ihr Er-
innerungsvermögen und ihre Charaktereigenschaften sowie besondere
Umstände zur Zeit der Wahrnehmung zu berücksichtigen.1260 Die Bedeu-
tung der einzelnen Kriterien blieb freilich umstritten. Im Hinblick auf
das Lebensalter galten sowohl die Aussagen besonders alter, als auch
besonders junger Menschen als bedenklich. Kinder hätten nur einen be-
grenzten Erfahrungshorizont und könnten keine objektiv richtigen Dar-
stellungen abgeben. Sie würden sich außerdem in hohem Maße durch
Erwachsene beeinflussen lassen.1261 Durch Autoritätspersonen würde
mehr in die Kinder » hineingefragt «, als sie aus eigener Wahrnehmung
aussagen könnten. Dies träfe besonders » auf dem Gebiet von sexuellen
Anschuldigungen halbwüchsiger Kinder gegen Erwachsene « 1262 zu. Gross,
der Begründer der österreichischen Kriminalistik, wandte sich allerdings
gegen eine pauschale Ablehnung kindlicher Zeugenaussagen: Zwar sei
bei der Vernehmung von Kindern zu Vorsicht geraten, doch handle es
sich bei Kinderaussagen meist um » wertvolles Material «.1263 Von geringe-
rer Beweiskraft erschienen Gross dagegen die Aussagen alter Menschen:
Da bei ihnen » die geistige Organisation [ … ] wesentlich vereinfacht « sei,
BG / LG Linz Sch 373, 8a Vr 731 / 31, Vernehmung des Beschuldigten vom 25. Mai 1931.
Über einen anderen Beschuldigten befand der Untersuchungsrichter, dass er den
Eindruck eines geistesschwachen Menschen mache: » Auch zeigt er ständig einen
zumindest sehr merkwürdigen Gesichtsausdruck. «, OÖLA, BG / LG Linz Sch 427,
8a Vr 431 / 34, Vernehmung des Beschuldigten vom 20. März 1934 ). Hinweise auf
das Verhalten von Zeuginnen und Zeugen finden sich dagegen nur ganz verein-
zelt ( siehe etwa OÖLA, BG / LG Linz Sch 510, 6 Vr 2215 / 37, Zeugenvernehmung vom
26. Oktober 1937 ).
1260 Wulffen beschränkt sich dabei auf die Psychologie des Täters, vgl Wulffen Erich, Kri-
minalpsychologie. Psychologie des Täters ( 1926 ); andere nahmen explizit auch auf
Zeugenaussagen Bezug, vgl Gross Hans, Kriminal-Psychologie 2 ( 1905 ) 387 ff; darauf
aufbauend die Ratschläge bei Lichem Arnold, Ausforschungsdienst 132 ff. Ähnlich
schon Glaser Julius, Der Gerichtssaal 1881, 12 ff.
1261 Vgl Moravcsik Ernst Emil, MSchrKrim 1908, 401 ( 421 ). Siehe auch die Darstellung
des Meinungsstandes bei Gross Hans / Höpler Erwein, Handbuch I 7 122 Fn 1 sowie
bei Moll Albert, Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, Pathologie und Hygiene
1907, 425 ff.
1262 Siemens Fritz, Zur Psychologie der Aussage, insbesondere von Kindern, MSchrKrim
1905, 698 ( 702 ). Dazu auch Näcke Paul, Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kri-
minalistik, Bd 32, 1908 / 09, 149.
1263 Vgl Gross Hans / Höpler Erwein, Handbuch I 7 124. Bereits wenige Jahre nach dem
erstmaligen Erscheinen seines » Handbuchs für Untersuchungsrichter, Polizeibe-
amte, Gendarmen usw « ( 1893 ) hatte Hans Gross auch eine » Criminalpsychologie «
( 1898 ) veröffentlicht.
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Buch Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik