Seite - 298 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Bild der Seite - 298 -
Text der Seite - 298 -
298 VII. Von der Anzeige zur Anklage
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
und die erste Aussage des Michael M. vor der Gendarmerie von dem Bu-
ben das Bild eines Mitschuldigen entstehen ließ. Anlässlich seiner Ver-
nehmung als Zeuge vor dem Bezirksgericht Mauthausen musste Alois
Kl. seine Angaben dahingehend berichtigen, dass » [ er ] bei dem Vorfall
am Heuboden den Geschlechtsteil M.s selber aus dessen Hose nahm
und dass [ er ] bei dem Vorfall im Stall freiwillig [ s ]ich zu M. in dessen
Bett legte. « 1302 Nur aufgrund des Alters von Alois Kl. wurde das Verfah-
ren gegen ihn als » Mittäter « gem § 9 JGG eingestellt.1303
Ob eine Person als Zeugin oder Zeuge, oder aber als Beschuldigte
oder Beschuldigter vernommen wurde, machte nicht nur für sie selbst,
sondern auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht einen Unterschied.
War das Geständnis im akkusatorischen Prozess zur Verurteilung zwar
nicht mehr notwendig und damit auch nicht länger » Hauptzweck « 1304
der ganzen Untersuchung, so behielt es doch für die Strafverfolgungsbe-
hörden eine nicht zu unterschätzende Bedeutung.1305 Es » vereinfachte «
das Verfahren, weshalb es vor allem im Rahmen polizeilicher und un-
tersuchungsrichterlicher Vernehmungen als wünschenswert erscheinen
musste, und verlieh ihm – da es regelmäßig unwidersprochen blieb –
» Gewissheit «.1306 Für die Beschuldigten sollte das Geständnis » reinigen-
den Einfluß « entfalten und sei deshalb » von großem ethischen Wert «.1307
1302 OÖLA, BG / LG Linz Sch 345, 12 Vr 983 / 29, Zeugenvernehmung vom 23. Juli 1929.
1303 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 345, 12 Vr 983 / 29, Anklageschrift vom 30. Juli 1929. Ähn-
lich erging es dem zum Tatzeitpunkt gerade erst vierzehnjährigen Karl G., über
den der Untersuchungsrichter vermerkte, es handle sich bei ihm um einen » ver-
schüchterten, geistig u. körperlich zurückgebliebenen Knaben, der in der Duldung
der unzüchtigen Handlung wohl kaum erkennen konnte, daß er sich selbst da-
durch straffällig machen könnte. «, OÖLA, BG / LG Linz Sch 340, 9 Vr 633 / 29, Verneh-
mung des Beschuldigten vom 30. April 1929. Das Verfahren gegen Karl G. wurde
gem § 10 JGG 1928 eingestellt.
1304 Vargha Julius, Strafprozessrecht 2 238.
1305 Vgl Horn Fritz, Das Geständnis des Verfolgten vor der gerichtlichen Polizei und
seine Stellung im österreichischen Strafprozeßrechte, JBl 1927, 259; Henschel Arthur,
Die Vernehmung des Beschuldigten. Ein Beitrag zur Reform des Strafprozesses
( 1909 ) 33. Siehe auch die Einschätzung bei Schramm Edward, Das Geständnis im
deutschen Strafprozess, in Engberg-Pedersen Anders / Huffmaster Michael / Nordhau-
sen Eric / Öhner Vrääth ( hg ), Das Geständnis und seine Instanzen. Zur Bedeutungs-
verschiebung des Geständnisses im Prozess der Moderne ( 2011 ) 33 ( 34 f ); Hartl
Friedrich, Kriminalgericht 182.
1306 Vgl Amschl Alfred, Beiträge I 2 30; Henschel Arthur, Vernehmung 77; Lohsing Ernst, Das
Geständnis in Strafsachen ( 1905 ) 64. Siehe auch Lück Christian / Niehaus Michael,
Pathologie des Geständnisses. Zum Stellenwert von Selbstaussagen um 1900, in
Reichertz Jo / Schneider Manfred ( hg ), Sozialgeschichte 143 ( 143, 145 ).
1307 Amschl Alfred, Beiträge I 2 30.
zurück zum
Buch Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik