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Das Suchen und Finden von Beweisen
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
gegen – » [ a ]bgesehen von seinem Hang zur Unsittlichkeit « 1403 – nichts
Nachteiliges anzugeben.
Die an die Gemeindevorstehung der jeweiligen Heimatgemeinde
gerichteten Ansuchen um Auskunft über den Leumund konnten nur
dann belangvolle Informationen enthalten, wenn sich die Beschuldig-
ten auch tatsächlich in der Gemeinde aufhielten, in der sie » zuständig «
waren. Vor allem jene Personen, die über wenig bis keine berufliche
Ausbildung verfügten, wechselten aber häufig ihren Arbeitsplatz und da-
mit auch den Aufenthaltsort.1404 Der zwanzigjährige landwirtschaftliche
Hilfsarbeiter Johann R. etwa, der der gleichgeschlechtlichen Unzucht
mit einem Arbeitskollegen verdächtigt wurde, war überhaupt nie in
seiner Heimatgemeinde wohnhaft gewesen. Die Gemeindevorstehung
konnte daher, als sie um ein Leumundsschreiben ersucht wurde, nichts
Nachteiliges angeben, weshalb » anzunehmen [ ist ], daß er sich bislang
der Ordnung gemäß betragen hat. « 1405 In der Stadt fielen die Leumunds-
schreiben, für die zum Teil Nachbarn oder Hausbesorger befragt wur-
den, mitunter noch vager aus.1406 Statt » Hausbesorger « und » Zahlkell-
ner « um Auskunft zu ersuchen, empfahl daher der Wiener Rechtsanwalt
Ernst Lohsing, sich an Lehrpersonen, Seelsorger, frühere Mitschülerin-
nen und Mitschüler oder Berufsgenossen der Beschuldigten zu halten.
Von ihnen seien die Charaktereigenschaften der betroffenen Personen
verlässlicher zu eruieren als durch » leeres Gerede « der Leute.1407
Die in Strafverfahren gegen Jugendliche vorgeschriebene Erfor-
schung der Lebensverhältnisse und aller Umstände zur Beurteilung
ihrer » körperlichen und geistigen Eigenart « ( § 32 JGG 1928 ) nahmen
1403 OÖLA, BG / LG Linz Sch 468, 6 E Vr 2606 / 35, Leumund ( undatiert ).
1404 Zum Bildungsgrad und zur Beschäftigungsstruktur der wegen gleichgeschlechtli-
cher Unzucht Verdächtigten siehe Anhang 7 und 9.
1405 OÖLA, BG / LG Linz Sch 473, 6 Vr 500 / 36, Leumund ( undatiert ). Möglicherweise um
diesen Mangel an Information auszugleichen, äußerte sich die Leumundsnote
auch über die Mutter von Johann R., die » zwar nicht gerade übel beleumundet
ist, aber infolge ihrer boshaften Veranlagung von niemand geachtet oder geliebt
wird. « Ob Johann R. ähnliche Eigenschaften besitze, vermochte man allerdings
nicht anzugeben. Siehe auch die Ausführungen über den – ebenfalls in seiner Hei-
matgemeinde nicht wohnhaften – Josef P., OÖLA, BG / LG Linz Sch 349, 11 Vr 1469 / 29,
Leumundschreiben ( undatiert ).
1406 Nachforschungen über den 42-jährigen, nach Wien zuständigen Diener Franz Z.
ergaben weder den Wohnort seiner von ihm getrennt lebenden Gattin, noch ob
Franz Z. die Familie, zu der angeblich auch zwei Kinder gehörten, finanziell un-
terstützte, vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 389, 6 Vr 803 / 32, Leumund vom 4. Juni 1932.
1407 Lohsing Ernst, Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik, Bd 24, 1906, 1 ( 8 ).
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik