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318 VII. Von der Anzeige zur Anklage
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
die besonderen Umstände des Falles 1427. Beriefen sich Beschuldigte
auf » Gedächtnisschwäche « 1428, » Nervenleiden « 1429, » krankhafte « 1430 oder
» schwere « 1431 Veranlagung, konnten gleichfalls Zweifel an ihrer Zurech-
nungsfähigkeit entstehen. Andere Tatverdächtige verantworteten sich
ganz konkret mit » homosexuelle[ r ] Veranlagung « 1432 oder einem unwi-
derstehlichen Trieb 1433 und ersuchten um ihre » Psychiatrierung «. Ne-
ben dem Geständnis, bei dem es den Beschuldigten zumindest dem
Prinzip nach offen stand, ob sie sich überhaupt, und wenn ja, ob sie
sich wahrheitsgemäß äußern wollten, stellten die Sachverständigengut-
achten damit eines der wenigen Beweismittel dar, auf dessen Erhebung
die Beschuldigten einen gewissen Einfluss hatten.1434 Kam es zur Be-
gutachtung, ging es für die Exploranden freilich nicht nur darum, ihre
» vita sexualis « einem gerichtsärztlichen Experten anzuvertrauen. Nur
wenn sich die autobiographischen Erzählungen und der gerichtsärztli-
che Befund mit bestimmten pathologischen Erwartungen in Deckung
des Beschuldigten vom 28. November 1936. Die Entmündigung des 39-jährigen
pensionierten Postoberoffizials Alfred M. war bereits aufgehoben, anlässlich der
Voruntersuchung wegen Verdachts der gleichgeschlechtlichen Unzucht ergaben
sich erneut Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit, vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch
345, 11 Vr 1095 / 29.
1427 Der Lehramtsanwärter Dr. Franz G. gab an, er habe » nicht sexuelle, sondern nur
sozialpädagogische Gründe « gehabt, um die ihm vorgeworfenen Unzuchtshand-
lungen zu begehen, OÖLA, BG / LG Linz Sch 423, 6 Vr 165 / 34, Niederschrift vom 5. Fe-
bruar 1934. Der 27-jährige Beamte Franz B., der anlässlich eines Strafverfahrens
im Jahr 1929 begutachtet wurde, war angeblich ein Jahr davor in den Selbstmord
eines Schülers verwickelt gewesen, vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 338, 11 Vr 6 / 29, Nie-
derschrift vom 30. Dezember 1928.
1428 OÖLA, BG / LG Linz Sch 295, Vr IX 1098 / 22, Vernehmung des Beschuldigten vom
15. Juli 1922.
1429 OÖLA, BG / LG Linz Sch 335, 6 Vr 1309 / 28, Anzeige vom 7. September 1928.
1430 OÖLA, BG / LG Linz Sch 332, 6 Vr 1619 / 28, Psychiatrischer Befund mit Gutachten
vom 28. November 1928; OÖLA, BG / LG Linz Sch 340, 12 Vr 606 / 29, Vernehmung des
Beschuldigten vom 15. April 1929, fortgesetzt am 19. April 1929.
1431 OÖLA, BG / LG Linz Sch 357, 11 Vr 396 / 30, Niederschrift vom 24. Jänner 1930.
1432 OÖLA, BG / LG Linz Sch 369, 6 Vr 162 / 31, Vernehmung des Beschuldigten vom 28. Fe-
bruar 1931.
1433 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 396, 6 Vr 1444 / 32, Vernehmung des Beschuldigten vom
16. September 1932, fortgesetzt am 19. September 1932.
1434 Im Hinblick auf die Einvernahme von Zeuginnen und Zeugen kam es sowohl im
Vorverfahren als auch nach Anklageerhebung kaum zu Anträgen oder Anregungen
durch Beschuldigte, zu den wenigen Ausnahmen vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 344,
11 Vr 858 / 29, Vernehmung des Beschuldigten vom 10. Juni 1929; OÖLA, BG / LG Linz
Sch 346, 10 Vr 1108 / 29, Beweisanträge vom 13. August 1929; OÖLA, BG / LG Linz Sch
438, 6 Vr 1638 / 34, Vernehmung des Beschuldigten vom 19. Juli 1934 ( diesem Beweis-
antrag wurde nicht entsprochen ).
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik