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Darstellungen vor Gericht
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
B. Würde, Ernst und Öffentlichkeit –
Darstellungen vor Gericht
Unter » Öffentlichkeit « des Strafverfahrens verstanden die prozessrecht-
lichen Vorschriften sowohl das Recht der Parteien, bei den Prozess-
handlungen des Gerichts anwesend zu sein ( Parteiöffentlichkeit oder
Öffentlichkeit im engeren Sinn ), als auch die jeder unbeteiligten Per-
son offenstehende Möglichkeit, Gerichtsverfahren beizuwohnen ( Volks-
öffentlichkeit oder Öffentlichkeit im weiteren Sinn ).1502 Während das
österreichische Strafverfahrensrecht die Parteiöffentlichkeit im Vorver-
fahren kategorisch ausschloss, galt sie in der Hauptverhandlung als
Ausdruck der Prinzipien des beiderseitigen Gehörs, der Mündlichkeit
und der Unmittelbarkeit. Allerdings war die Parteiöffentlichkeit auch
in der Hauptverhandlung nicht uneingeschränkt gewährt: Aus Grün-
den der Wahrheitsermittlung durfte Angeklagten ausnahmsweise das
Verlassen des Saales aufgetragen werden. Sie mussten aber gem § 250
StPO 1873 bei ihrer Rückkehr über alle Aussagen in Kenntnis gesetzt
werden, die in der Zwischenzeit gemacht worden waren. Unmündige
und jugendliche Angeklagte konnten aus dem Saal gewiesen werden,
wenn durch die Vornahme gewisser Erörterungen in der Verhandlung
ein nachteiliger Einfluss auf sie befürchtet wurde ( § 3 Z 2 JGG 1928 ). Leg-
ten Angeklagte ein ordnungswidriges Verhalten an den Tag, konnten sie
gem § 234 StPO 1873 entweder für einige Zeit oder für die Dauer der ge-
samten Verhandlung entfernt werden.1503 Bei Verbrechen, die mit keiner
höheren als einer fünfjährigen Kerkerstrafe bedroht waren, gestattete
§ 427 StPO 1873 sogar die Vornahme der Hauptverhandlung in Abwesen-
heit der angeklagten Person. Dies setzte allerdings voraus, dass der oder
die Angeklagte bereits während der Voruntersuchung vernommen und
ihm oder ihr die Vorladung zur Hauptverhandlung noch persönlich zu-
gestellt worden war. Ein Verfahren gegen abwesende Angeklagte war
nur zulässig, wenn der Gerichtshof ihre Anwesenheit zur » vollkommen
beruhigenden Aufklärung « ( § 427 StPO 1873 ) des Sachverhalts nicht als
notwendig erachtete.1504 Abgesehen davon war die Anwesenheit bei der
1502 Vgl Lohsing Ernst, Strafprozeßrecht 3 179.
1503 Dem hatte eine Ermahnung durch den Vorsitzenden sowie die Androhung der
Entfernung aus der Verhandlung voranzugehen.
1504 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 285, Vr II E 3007 / 20. Die Hauptverhandlung am 13. De-
zember 1922 fand in Abwesenheit des Angeklagten Josef Schw. statt. Desgleichen
OÖLA, BG / LG Linz Sch 475, 6 E Vr 699 / 36, Hauptverhandlung vom 2. Novem-
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik