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Darstellungen vor Gericht
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
keit der Verhandlung gem § 40 JGG 1928 immer dann auszuschließen,
wenn dies durch das Interesse der Beschuldigten geboten war. Hatten
im vereinfachten Verfahren weder eine Voruntersuchung noch Vorer-
hebungen stattgefunden, erlaubte § 500 Z 1 StPO 1873 außerdem den
Ausschluss der Öffentlichkeit auf Verlangen der Beschuldigten. Allfäl-
lige Einschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes aus Gründen der
Sittlichkeit wurden damit gerechtfertigt, dass der moralische Schaden,
der der Allgemeinheit durch die Darstellung von Unsittlichkeiten drohe,
den Ausschluss von » dem Schauspiel, das gerade solche Verhandlungen
oft bieten « 1549 aufwiege. Ob hinreichende Gründe für einen Ausschluss
der Volksöffentlichkeit vorlagen, beurteilte das erkennende Gericht.
Ihm kam dabei ein weiter Ermessensspielraum zu.1550
Den Ausschluss der Öffentlichkeit aus Sittlichkeitsgründen konnte
sowohl der Staatsanwalt als auch der oder die Angeklagte beziehungs-
weise der Verteidiger beantragen. Er konnte sich auf einen Teil des Ver-
fahrens oder auf die gesamte Verhandlung erstrecken. Eine entspre-
chende Entscheidung war schriftlich abzufassen und zu begründen.1551
Den Schilderungen gleichgeschlechtlicher Unzuchtshandlungen maß
man in der Zwischenkriegszeit augenscheinlich keinen allzu » entsittli-
chenden « Einfluss auf das Gerichtspublikum bei: Lediglich in zwei vor
dem Landesgericht Linz verhandelten Fällen wurde ein Antrag auf Aus-
schluss der Öffentlichkeit gestellt.1552
1549 Malaniuk Wilhelm, Gerichts-Zeitung 1930, 203.
1550 Vgl Mitterbacher Julius, Die Strafproceßordnung für die im Reichsrathe vertre-
tenen Königreiche und Länder der österreichisch-ungarischen Monarchie vom
23. Mai 1873 und deren Einführungsgesetz ( 1882 ) 349 f.
1551 Vgl Lohsing Ernst, Strafprozeßrecht 3 180.
1552 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 300, Vr XII E 502 / 23, Protokoll der Hauptverhandlung
vom 17. Mai 1923 sowie OÖLA, BG / LG Linz Sch 301, Vr XII E 1062 / 23, Protokoll der
Hauptverhandlung vom 22. September 1923. In der Hauptverhandlung gegen den
fünfzehnjährigen Kellnerlehrling Bruno Sch. verfügte der Vorsitzende auf Antrag
des Staatsanwalts, dass sich die Mutter des Angeklagten während seiner Verneh-
mung aus dem Gerichtssaal zu entfernen habe, » da Gefahr besteht, dass der A[ nge-
klagte ] aus Angst vor derselben nicht die Wahrheit sagen will. «, OÖLA, BG / LG Linz
Sch 350, 13 Vr 1639 / 29, Hauptverhandlung vom 25. Jänner 1930. Diese Verfügung
stellte allerdings keine Einschränkung der Öffentlichkeit des Verfahrens dar, son-
dern war Ausfluss der sitzungspolizeilichen Gewalt des Vorsitzenden nach § 233
StPO 1873. Vgl dazu auch Mayer Salomon, Handbuch II 124.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik