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342 VIII. Hauptverhandlung und Urteil
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
C. Mündlichkeit und Unmittelbarkeit –
Sprechen vor Gericht
Das Mündlichkeitsprinzip verlangte, dass die Hauptverhandlung münd-
lich zu geschehen und das Gericht nur aufgrund dieser mündlichen
Verhandlung sein Urteil zu fällen hatte. Was in der Verhandlung nicht
zur Sprache gekommen war, durfte dem Urteil auch nicht zu Grunde
gelegt werden. Unmittelbarkeit des Verfahrens bedeutete, dass die er-
kennenden Richter die Grundlagen für ihre Entscheidung durch eigene
Wahrnehmung gewinnen sollten.1553 Was mündlich vorgebracht wurde,
musste auch allen Richtern zugänglich sein. Die Verwendung von Ak-
tenstücken als Beweismittel war nur insofern erlaubt, als sie während
der Hauptverhandlung verlesen worden waren.1554
Dem Sprechen vor Gericht wurde damit eine besondere Bedeutung
beigemessen. Gleichzeitig handelte es sich bei der Hauptverhandlung
um eine Sprechsituation, die in besonderem Maße formalisiert war:
Ebenso wie die Architektur der Gerichtsgebäude, die Ausstattung der Ver-
handlungssäle, die langen schwarzen Talare der Richter und Staatsan-
wälte und die Verteilung von Prozessparteien und Publikum im Gerichts-
raum verliehen Mündlichkeit und Unmittelbarkeit dem Strafverfahren
rituellen Charakter.1555 Die Dramaturgie der Hauptverhandlung war in
den wesentlichen Zügen durch die Strafprozeßordnung 1873 vorgegeben.
Der Gerichtshof erster Instanz setzte sich als Erkenntnisgericht aus zwei
Berufsrichtern und zwei Schöffen zusammen. Einer der beiden Berufs-
richter fungierte als Vorsitzender, im vereinfachten Verfahren trat an die
Stelle des Vorsitzenden der Einzelrichter.1556 Der Vorsitzende dominierte
die Hauptverhandlung. Er legte den Tag der Verhandlung fest und lei-
tete das Verfahren. Den angeklagten Personen musste eine wenigstens
dreitägige Frist zwischen Zustellung der Vorladung und dem Verhand-
lungstermin eingeräumt werden, damit sie ihre Verteidigung vorbereiten
konnten.1557 Die Vorladung hatte die Androhung zu enthalten, dass bei
1553 Vgl Vargha Julius, Strafprozessrecht 2 48.
1554 Vgl Vargha Julius, Strafprozessrecht 2 49 f.
1555 Vgl Boehme-Neßler Volker, BilderRecht 171 ff.
1556 Vgl Gleispach Wenzeslaus, Strafverfahren 2 102, 338.
1557 Mit Zustimmung der oder des Angeklagten konnte diese Frist allerdings verkürzt
werden. So fand etwa die Hauptverhandlung gegen den in Untersuchungshaft be-
findlichen 27-jährigen Beamten Franz B. bereits am Tag nach der Anklageerhebung
statt, vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 338, 11 Vr 6 / 29.
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Buch Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik