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356 VIII. Hauptverhandlung und Urteil
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Tatsächlich lassen sich in den beim Landesgericht Linz verhandel-
ten Unzuchtsverfahren Unterschiede zwischen Einzelrichterverfahren
und Schöffenverfahren feststellen. Einzelrichter gelangten häufiger zu
einem freisprechenden Urteil als Schöffensenate.1638 Die Freisprüche
der Schöffensenate bezogen sich außerdem häufig nicht auf alle Ange-
klagten oder aber nur auf einen Teil der vorgeworfenen Handlungen.1639
Auch hinsichtlich der Begründung unterschieden sich Freisprüche
durch Einzelrichter von jenen durch das Schöffengericht. Einzelrich-
ter stellten fest, dass » der subjektive Dolus fehle « 1640 oder » der Angekl.
[ . ] mangels obj. Tatbestandes « 1641 freizusprechen war. Hinsichtlich des
37-jährigen technischen Beamten Wilhelm P., dem vorgeworfen wurde,
den Schüler August M. in einer Kabine der städtischen Schwimmschule
unzüchtig betastet zu haben, gelangte der Richter zu dem Schluss, dass
Wilhelm P. die » Handbewegungen u. Handgriffe auf den Körper des
Knaben besser unbelassen hätte [ … ] Doch konnte [ … ] daraus noch
nicht zweifellos auf ein erotisches Moment, daß [ sic ! ] doch zum Tatbe-
stande notwendig ist, geschlossen werden. « 1642
Schöffengerichte konstatierten dagegen seltener, dass ein subjekti-
ves oder objektives Tatbestandsmerkmal nicht vorlag. Sie fällten ihre
Freisprüche in dubio pro reo. In den Urteilsbegründungen führte der
Gerichtshof etwa aus, dass die Aussage des einzigen Zeugen, der zum
1638 Der Wiener Staatsanwalt Herrdegen führte die höhere Zahl an Freisprüchen im
einzelrichterlichen Verfahren darauf zurück, dass der Hauptverhandlung vielfach
keine Vorerhebungen vorangingen, die seiner Ansicht nach in den meisten Fäl-
len bereits zur Einstellung des Verfahrens geführt hätten, vgl Herrdegen, Beiträge
zur Kritik über das vereinfachte Verfahren der Strafprozeßnovelle vom 5. Dezem-
ber 1918 Nr. 93 St.G.Bl., JBl 1920, 81. Diese Einschätzung wurde von seinem Wiener
Neustädter Amtskollegen Langer scharf zurückgewiesen, vgl Langer A., Beiträge zur
Kritik des » Vereinfachten Verfahrens «, JBl 1920, 196 ( insb 197 ).
1639 Vgl etwa OÖLA, BG / LG Linz Sch 366, 12 Vr 1523 / 30, Urteil vom 16. Dezember 1930.
Der Freispruch der Angeklagten Adalbert P. und Georg G. erfolgte wegen Rücktritts
des Staatsanwaltes von der Anklage, die beiden weiteren Angeklagten Adolf H. und
Josef B. wurden dagegen verurteilt.
1640 OÖLA, BG / LG Linz Sch 290, Vr VI E 1672 / 21, Urteil vom 13. Dezember 1921. Der An-
geklagte hatte im betrunkenen Zustand im Café » Juwel « den dort als Klavierspieler
beschäftigten und ihm als » Päderast « bekannten Franz B. » als Spaß « aufgefordert,
mit ihm Analverkehr zu haben.
1641 OÖLA, BG / LG Linz Sch 285, Vr II E 3007 / 20, Urteil vom 13. Dezember 1922.
1642 OÖLA, BG / LG Linz Sch 306, Vr VI E 827 / 24, Urteil vom 1. Juli 1924. Wilhelm P. hatte
sich damit verantwortet, sich dem Knaben gegenüber deswegen » etwas lieber «
verhalten zu haben, damit er dessen Personalien erfahre, da er einen größeren
Geldbetrag bei sich gehabt habe.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik