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Nichtigkeitsbeschwerden an den Obersten Gerichtshof
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
mithilfe des außerordentlichen Rechtsmittels der Wiederaufnahme des
Verfahrens geltend machen.1697
Nichtigkeitsbeschwerden konnten zum Vorteil aber auch zum Nach-
teil der Angeklagten erhoben werden. Zugunsten der Angeklagten stand
die Erhebung eines Rechtsmittels den Angeklagten selbst, bestimmten
ihnen nahestehenden Personen 1698 und dem Staatsanwalt offen. Wurde
ein Rechtsmittel zum Vorteil der Angeklagten erhoben, untersagten die
§§ 290 und 293 StPO 1873 eine reformatio in peius: Die Rechtsmittelins-
tanz durfte keine strengere Strafe verhängen, als sie für das angefoch-
tene Urteil vorgesehen hatte. Zum Nachteil der Angeklagten war nur der
Staatsanwalt anfechtungsberechtigt. Das Verschlechterungsverbot be-
stand hier nicht.1699 Das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde war an
den Obersten Gerichtshof zu richten. Die Erhebung musste binnen drei
Tagen ab Urteilsverkündung angemeldet werden. Ab dem Zeitpunkt der
Anmeldung hatten die Angeklagten acht Tage Zeit, um die Nichtigkeits-
beschwerde auszuführen. Die Beschwerde hatte die einzelnen Nichtig-
keitsgründe, auf die sie sich stützte, genau zu bezeichnen und musste
von einem Verteidiger unterfertigt werden.1700 Die Nichtigkeitsgründe
selbst waren in der Strafprozeßordnung 1873 taxativ aufgezählt. Sie be-
trafen entweder die Unzuständigkeit des Gerichtes oder eine Verlet-
zung oder Nichtbeachtung wesentlicher Förmlichkeiten des Verfahrens
( prozessuale Nichtigkeitsgründe ) oder aber die unrichtige Anwendung
des Gesetzes ( materielle Nichtigkeitsgründe ). Hinsichtlich der prozes-
sualen Nichtigkeitsgründe unterschied die Strafprozeßordnung 1873
1697 Vgl Lohsing Ernst, Strafprozeßrecht 3 459; Vargha Julius, Strafprozessrecht 2 398.
1698 Dazu zählte § 282 StPO 1873 die Ehegatten, Verwandte in auf- und absteigender Li-
nie sowie den Vormund. Waren Angeklagte noch minderjährig, konnte das Rechts-
mittel von ihren Eltern beziehungsweise ihrem Vormund auch gegen ihren Willen
erhoben werden.
1699 Soweit dies in Betracht kam, waren auch Privatanklägerinnen oder Privatanklä-
ger zuungunsten der Angeklagten anfechtungsberechtigt. Hatte das Verfahren in
erster Instanz mit einem Freispruch geendet, konnte das Urteil nur zum Nachteil
des beziehungsweise der Angeklagten angefochten werden. Dagegen Kößler Ma-
ximilian, Die Anfechtung des freisprechenden Urteils zugunsten des Angeklagten,
Allgemein österreichische Gerichts-Zeitung 1914, 121: Die Urteilsanfechtung solle
auch dann zulässig sein, wenn die Begründung des Urteils ein schutzwürdiges
rechtliches Interesse des Freigesprochenen verletzte oder gefährdete.
1700 § 1 Z 2 und 3 Gesetz vom 31. December 1877, womit die Bestimmungen der Strafpro-
ceßordnung über Nichtigkeitsbeschwerden ergänzt und abgeändert werden, RGBl
1878 / 3. Grund für die Novelle war unter anderem der Wunsch gewesen, die Zahl der
Nichtigkeitsbeschwerden einzudämmen, vgl Kosjek Julius, Ueber das Rechtsmittel
der Nichtigkeitsbeschwerde in der Praxis, Gerichtshalle 1879, 255.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik