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Gnadengesuche
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Als » besondere Art « des Petitionsrechts stand das Einbringen von
Gnadengesuchen nach Art 11 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen
Rechte der Staatsbürger von 1867 ( StGG 1867 ) 1756 grundsätzlich jeder
Person offen, einer besonderen Legitimation bedurfte es nicht. Fristen
oder Formalvorschriften waren für die Einbringung eines Gnadenge-
suchs nicht vorgesehen. Aus dem Gnadengesuch sollte die Identität der
Person, auf die sich der Gnadenakt beziehen sollte und auch die Iden-
tität des Gnadenwerbers oder der Gnadenwerberin ersichtlich werden,
wenn es sich dabei um eine andere Person handelte.1757 Außerdem hatte
das Gesuch den Inhalt der Gnadenbitte deutlich zu machen, die » recht-
lich zulässig und tatsächlich überhaupt möglich « 1758 sein musste. Zu
den materiellen Voraussetzungen eines Gnadenaktes zählten die Gna-
denwürdigkeit der betroffenen Person und das Vorliegen eines Gna-
dengrundes.1759 Wodurch genau die Gnadenwürdigkeit einer Person be-
gründet wurde und welche Gnadengründe in Betracht kamen, war nicht
festgelegt.1760 Auf die Begnadigung bestand allerdings kein Rechtsan-
spruch, sie war ausschließlich vom Ermessen des Gnadenberechtigten
abhängig. Insofern bot das Gnadenrecht Raum für außerrechtliche Er-
wägungen.1761 Hinweise darauf, ob jemand den Gnadenakt » verdient «
hatte, sollten die » frühere Unbescholtenheit, guter Leumund, arbeit-
samer und ehrenhafter Lebenswandel, gute Führung in der Strafhaft,
Bekundung von Reue über die Straftat « 1762 geben. Die wenigen Verur-
teilten, die um gnadenweise Nachsicht oder Tilgung der durch das Lan-
desgericht Linz verhängten Strafe baten, sprachen demgemäß davon,
dass sie » die [ .. ] verübten Handlungen [ … ] aufs Tiefste « 1763 und » auf
1756 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichs-
rathe vertretenen Königreiche und Länder, RGBl 1867 / 142, durch Art 149 Abs 1 B-VG
auch Teil der Verfassungsordnung der Republik Österreich.
1757 Vgl Ent Herbert, Ein Beitrag zum österreichischen Gnadenrecht, ÖJZ 1956, 356 ( 359 ).
1758 Ent Herbert, ÖJZ 1956, 360.
1759 Vgl Reiter-Zatloukal Ilse, Die Begnadigungspolitik der Regierung Schuschnigg. Von
der Weihnachtsamnestie 1934 bis zur Februaramnestie 1938, BRGÖ 2012, 336 ( 338 ).
1760 Dazu ausführlich Pröll Julia, Gnade und Amnestie im Strafrecht: Störfaktoren oder
notwendiges Korrektiv ? Beantwortung der Frage unter besonderer Berücksichti-
gung der österreichischen Gnadenpraxis ( 2002 ) 123 ff.
1761 Vgl Olechowski Thomas, » Iustitia regnorum fundamentum «. Ein Beitrag zum Ende
der Kabinettsjustiz, RZ 2000, 132 ( 137 ). Eine Abschwächung erfuhr das Gnaden-
recht des Staatsoberhauptes in der Republik dadurch, dass es nur mehr auf Vor-
schlag des gem Art 67 B-VG ermächtigten Justizministers ausgeübt werden konnte.
1762 Ent Herbert, ÖJZ 1956, 362.
1763 OÖLA, BG / LG Linz Sch 314, Vr VI E 832 / 26, Gnadengesuch vom 14. Februar 1927.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik