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Es gibt im Leben eine Zeit, wo es sich auffallend verlangsamt, als zögerte es
weiterzugehn oder wollte seine Richtung ändern. Es mag sein, daß einem in
dieser Zeit leichter ein Unglück zustößt.
Homo besaß einen kranken kleinen Sohn; das zog durch ein Jahr, ohne besser
zu werden und ohne gefährlich zu sein, der Arzt verlangte einen langen
Kuraufenthalt, und Homo konnte sich nicht entschließen, mitzureisen. Es kam
ihm vor, als würde er dadurch zu lange von sich getrennt, von seinen
Büchern, Plänen und seinem Leben. Er empfand seinen Widerstand als eine
große Selbstsucht, es war aber vielleicht eher eine Selbstauflösung, denn er
war zuvor nie auch nur einen Tag lang von seiner Frau geschieden gewesen;
er hatte sie sehr geliebt und liebte sie noch sehr, aber diese Liebe war durch
das Kind trennbar geworden, wie ein Stein, in den Wasser gesickert ist, das
ihn immer weiter auseinander treibt. Homo staunte sehr über diese neue
Eigenschaft der Trennbarkeit, ohne daß mit seinem Wissen und Willen je
etwas von seiner Liebe abhanden gekommen wäre, und so lang die Zeit der
vorbereitenden Beschäftigung mit der Abreise war, wollte ihm nicht einfallen,
wie er allein den kommenden Sommer verbringen werde. Er empfand bloß
einen heftigen Widerwillen gegen Bade- und Gebirgsorte. Er blieb allein
zurück und am zweiten Tag erhielt er einen Brief, der ihn einlud, sich an einer
Gesellschaft zu beteiligen, welche die alten venezianischen Goldbergwerke
im Fersenatal wieder aufschließen wollte. Der Brief war von einem Herrn
Mozart Amadeo Hoffingott, den er vor einigen Jahren auf einer Reise kennen
gelernt und während weniger Tage zum Freund gehabt hatte.
Trotzdem entstand in ihm nicht der leiseste Zweifel, daß es sich um eine
ernste, redliche Sache handle. Er gab zwei Telegramme auf; in dem einen
teilte er seiner Frau mit, daß er schon jetzt abreise und ihr seinen Aufenthalt
melden werde, mit dem zweiten nahm er das Angebot an, sich als Geologe
und vielleicht auch mit einem größeren Betrag Geldes an den
Aufschließungsarbeiten zu beteiligen.
In P., das ein Maulbeer und Wein bauendes, verschlossen reiches
italienisches Städtchen ist, traf er mit Hoffingott, einem großen, schönen
schwarzen Mann seines eigenen Alters, zusammen, der immer in Bewegung
war. Die Gesellschaft verfügte, wie er erfuhr, über gewaltige amerikanische
Mittel, und die Arbeit sollte großen Stil haben. Einstweilen ging zur
Vorbereitung eine Expedition talein, die aus ihnen beiden und drei Teilhabern
bestand, Pferde wurden gekauft, Instrumente erwartet und Hilfskräfte
angeworben.
Homo wohnte nicht im Gasthof, sondern, er wußte eigentlich nicht warum,
bei einem italienischen Bekannten Hoffingotts. Es gab da drei Dinge, die ihm
auffielen. Betten von einer unsagbar kühlen Weichheit in schöner
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Buch Grigia"
Grigia
- Titel
- Grigia
- Autor
- Robert Musil
- Datum
- 1924
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 21
- Kategorien
- Weiteres Belletristik