Seite - 15 - in Grigia
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Es blieb immer etwas Grauen vor der Natur in diesem Eindruck enthalten,
und man darf sich nicht darüber täuschen, daß die Natur nichts weniger als
natürlich ist; sie ist erdig, kantig, giftig und unmenschlich in allem, wo ihr der
Mensch nicht seinen Zwang auferlegt. Wahrscheinlich war es gerade das, was
ihn an die Bäuerin band, und zur anderen Hälfte war es ein nimmermüdes
Staunen, weil sie so sehr einer Frau glich. Man würde ja auch staunen, wenn
man mitten im Holz eine Dame mit einer Teetasse sitzen sähe.
Bitte, treten Sie ein, hatte auch sie gesagt, als er zum erstenmal an ihre Tür
klopfte. Sie stand am Herd und hatte einen Topf am Feuer; die sie nicht
wegkonnte, wies sie bloß höflich auf die Küchenbank, später erst wischte sie
die Hand lächelnd an der Schürze ab und reichte sie den Besuchern; es war
eine gut geformte Hand, so samten rauh wie feinstes Sandpapier oder
rieselnde Gartenerde. Und das Gesicht, das zu ihr gehörte, war ein ein wenig
spöttelndes Gesicht, mit einer feinen, graziösen Gratlinie, wenn man es von
der Seite ansah, und einem Mund, der ihm sehr auffiel. Dieser Mund war
geschwungen wie Kupidos Bogen, aber außerdem war er gepreßt, so wie
wenn man Speichel schluckt, was ihm in all seiner Feinheit eine
entschlossene Roheit, und dieser Roheit wieder einen kleinen Zug von
Lustigkeit gab, was trefflich zu den Schuhen paßte, aus welchen das
Figürchen herauswuchs wie aus wilden Wurzeln. – Es galt irgendein Geschäft
zu besprechen, und als sie fortgingen, war wieder das Lächeln da, und die
Hand ruhte vielleicht einen Augenblick länger in der seinen als beim
Empfang. Diese Eindrücke, die in der Stadt so bedeutungslos wären, waren
hier in der Einsamkeit Erschütterungen, nicht anders, als hätte ein Baum seine
Äste bewegen wollen in einer Weise, die durch keinen Wind oder eben
wegfliegenden Vogel zu erklären war.
Kurze Zeit danach war er der Geliebte einer Bauernfrau geworden; diese
Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, beschäftigte ihn sehr, denn ohne
Zweifel war da nicht etwas durch ihn, sondern mit ihm geschehen. Als er das
zweitemal gekommen war, hatte sich Grigia gleich zu ihm auf die Bank
gesetzt, und als er ihr zur Probe, wie weit er schon gehen dürfe, die Hand auf
den Schoß legte und ihr sagte, du bist hier die Schönste, ließ sie seine Hand
auf ihrem Schenkel ruhen, legte bloß ihre darauf, und damit waren sie
versprochen. Nun küßte er sie auch zum Siegel, und ihre Lippen schnalzten
danach, so wie sich Lippen befriedigt von einem Trinkgefäß lösen, dessen
Rand sie gierig umfaßt hielten. Er erschrak sogar anfangs ein wenig über
diese gemeine Weise und war gar nicht bös, als sie sein weiteres Vordringen
abwehrte; er wußte nicht warum, er verstand hier überhaupt nichts von den
Sitten und Gefahren und ließ sich neugierig auf ein andermal vertrösten. Beim
Heu, hatte Grigia gesagt, und als er schon in der Tür stand und auf
Wiedersehen sagte, sagte sie »auf’s g’schwindige Wiederseh’n« und lächelte
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Grigia
- Titel
- Grigia
- Autor
- Robert Musil
- Datum
- 1924
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 21
- Kategorien
- Weiteres Belletristik