Seite - 16 - in Grigia
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ihm zu.
Er war noch am Heimweg, da wurde er schon glücklich über das
Geschehene; so wie ein heißes Getränk plötzlich nachher zu wirken beginnt.
Der Einfall, zusammen in den Heustall zu gehn – man öffnet ein schweres
hölzernes Tor, man zieht es zu, und bei jedem Grad, um den es sich in den
Angeln dreht, wächst die Finsternis, bis man am Boden eines braunen,
senkrecht stehenden Dunkels hockt – freute ihn wie eine kindliche List. Er
dachte an die Küsse zurück und fühlte sie schnalzen, als hätte man ihm einen
Zauberring um den Kopf gelegt. Er stellte sich das Kommende vor und mußte
wieder an die Bauernart zu essen denken; sie kauen langsam, schmatzend,
jeden Bissen würdigend, so tanzen sie auch, Schritt um Schritt, und
wahrscheinlich ist alles andere ebenso; er wurde so steif in den Beinen vor
Aufregung bei diesen Vorstellungen, als stäken seine Schuhe schon etwas im
Boden. Die Frauen schließen die Augendeckel und machen ein ganz steifes
Gesicht, eine Schutzmaske, damit man sie nicht durch Neugierde stört; sie
lassen sich kaum ein Stöhnen entreißen, regungslos wie Käfer, die sich tot
stellen, konzentrieren sie alle Aufmerksamkeit auf das, was mit ihnen
vorgeht. Und so geschah es auch; Grigia scharrte mit der Kante der Sohle das
bißchen Winterheu, das noch da war, zu einem Häuflein zusammen und
lächelte zum letztenmal, als sie sich nach dem Saum ihres Rockes bückte wie
eine Dame, die sich das Strumpfband richtet.
Das alles war genau so einfach und gerade so verzaubert wie die Pferde,
die Kühe und das tote Schwein. Wenn sie hinter den Balken waren und außen
polterten schwere Schuhe auf dem Steinweg heran, schlugen vorbei und
verklangen, so pochte ihm das Blut bis in den Hals, aber Grigia schien schon
am dritten Schritt zu erraten, ob die Schuhe herwollten oder nicht. Und sie
hatte Zauberworte. Die Nos, sagte sie etwa, und statt Bein der Schenken. Der
Schurz war die Schürze. Tragt viel aus, bewunderte sie, und geliegen han i an
bißl ins Bett eini, machte es unter verschlafenen Augen. Als er ihr einmal
drohte, nicht mehr zu kommen, lachte sie: »I glock an bei Ihm!« und da
wußte er nicht, ob er erschrak oder glücklich war, und das mußte sie bemerkt
haben, denn sie fragte: »Reut’s ihn? Viel reut’s ihn?« Das waren so Worte wie
die Muster der Schürzen und Tücher und die farbigen Borten oben am
Strumpf, etwas angeglichen der Gegenwart schon durch die Weite der
Wanderschaft, aber geheimnisvolle Gäste. Ihr Mund war voll von ihnen, und
wenn er ihn küßte, wußte er nie, ob er dieses Weib liebte, oder ob ihm ein
Wunder bewiesen werde, und Grigia nur der Teil einer Sendung war, die ihn
mit seiner Geliebten in Ewigkeit weiter verknüpfte. Einmal sagte ihm Grigia
geradezu: »Denken tut er was ganz andres, i seh’s ihm eini«, und als er eine
Ausflucht gebrauchte, meinte sie nur, »ah, das is an extrige Sküß«. Er fragte
sie, was das heißen solle, aber sie wollte nicht mit der Sprache heraus, und er
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Buch Grigia"
Grigia
- Titel
- Grigia
- Autor
- Robert Musil
- Datum
- 1924
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 21
- Kategorien
- Weiteres Belletristik