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schlanke Menschlein, das es trägt – oder war das nicht Grigia?
Wenn Homo, um sie zu suchen, oben die lange Reihe von Heuhaufen
entlang ging, welche die Bäurinnen auf der ebenen Stufe des Hangs errichtet
hatten, ruhten sie gerade; da konnte er sich kaum fassen, denn sie lagen auf
ihren Heuhügeln wie Michel Angelos Statuen in der Mediceerkapelle zu
Florenz, einen Arm mit dem Kopf aufgestützt und den Leib wie in einer
Strömung ruhend. Und als sie mit ihm sprachen und ausspucken mußten,
taten sie es sehr künstlich; sie zupften mit drei Fingern ein Büschel Heu
heraus, spuckten in den Trichter und stopften das Heu wieder darüber: das
konnte zum Lachen reizen: bloß wenn man zu ihnen gehörte, wie Homo, der
Grigia suchte, mochte man auch plötzlich erschrecken über diese rohe Würde.
Aber Grigia war selten dabei, und wenn er sie endlich fand, hockte sie in
einem Kartoffelacker und lachte ihn an. Er wußte, sie hat nichts als zwei
Röcke an, die trockene Erde, die durch ihre schlanken, rauhen Finger rann,
berührte ihren Leib. Aber die Vorstellung hatte nichts Ungewöhnliches mehr
für ihn, sein Inneres hatte sich schon seltsam damit vertraut gemacht, wie
Erde berührt, und vielleicht traf er sie in diesem Acker auch gar nicht zur Zeit
der Heuernte, es lebte sich alles so durcheinander.
Die Heuställe hatten sich gefüllt. Durch die Fugen zwischen den Balken
strömt silbernes Licht ein. Das Heu strömt grünes Licht aus. Unter dem Tor
liegt eine dicke goldene Borte.
Das Heu roch säuerlich. Wie die Negergetränke, die aus dem Teig von
Früchten und menschlichem Speichel entstehn. Man brauchte sich nur zu
erinnern, daß man hier unter Wilden lebte, so entstand schon ein Rausch in
der Hitze des engen, von gärendem Heu hochgefüllten Raums.
Das Heu trägt in allen Lagen. Man steht darin bis an die Waden, unsicher
zugleich und überfest gehalten. Man liegt darin wie in Gottes Hand, möchte
sich in Gottes Hand wälzen wie ein Hündchen oder ein Schweinchen. Man
liegt schräg, und fast senkrecht wie ein Heiliger, der in einer grünen Wolke
zum Himmel fährt.
Das waren Hochzeitstage und Himmelfahrtstage.
Aber einmal erklärte Grigia: es geht nicht mehr. Er konnte sie nicht dazu
bringen, daß sie sagte, warum. Die Schärfe um den Mund und die lotrechte
kleine Falte zwischen den Augen, die sie sonst nur für die Frage anstrengte, in
welchem Stadel ein nächstesmal das schönste Zusammenkommen sei, deutete
schlecht Wetter an, das irgendwo in der Nähe stand. Waren sie ins Gerede
gekommen? Aber die Gevatterinnen, die ja vielleicht etwas merkten, waren
alle immer so lächelnd wie bei einer Sache, der man gern zusieht. Aus Grigia
war nichts herauszubekommen. Sie gebrauchte Ausreden, sie war seltener zu
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Grigia
- Titel
- Grigia
- Autor
- Robert Musil
- Datum
- 1924
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 21
- Kategorien
- Weiteres Belletristik