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treffen; aber sie hütete ihre Worte wie ein mißtrauischer Bauer.
Einmal hatte Homo ein böses Zeichen. Die Gamaschen waren ihm
aufgegangen, er stand an einem Zaun und wickelte sie neu, als eine
vorbeigehende Bäurin ihm freundlich sagte: »Laß er die Strumpf doch unten,
es wird ja bald Nacht.« Das war in der Nähe von Grigias Hof. Als er es Grigia
erzählte, machte sie ein hochmütiges Gesicht und sagte: »Die Leute reden,
und den Bach rinnen, muß man lassen«; aber sie schluckte Speichel und war
mit den Gedanken anderswo. Da erinnerte er sich plötzlich einer sonderbaren
Bäurin, die einen Schädel wie eine Aztekin hatte und immer vor ihrer Tür saß,
das schwarze Haar, das ihr etwas über die Schultern reichte,aufgelöst, und
von drei pausbäckigen gesunden Kindern umgeben. Grigia und er kamen alle
Tage achtlos vorbei, es war die einzige Bäurin, die er nicht kannte, und
merkwürdigerweise hatte er auch noch nie nach ihr gefragt, obgleich ihm ihr
Aussehn auffiel; es war fast, als hätten sich stets das gesunde Leben ihrer
Kinder und das gestörte ihres Gesichts gegenseitig als Eindrücke zu Null
aufgehoben. Wie er jetzt war, schien es ihm plötzlich gewiß zu sein, daß nur
von daher das Beunruhigende gekommen sein könne. Er fragte, wer sie sei,
aber Grigia zuckte bös die Achseln und stieß nur hervor: »Die weiß nit, was
sie sagt! Ein Wort hie, ein Wort über die Berge!« Das begleitete sie mit einer
heftigen Bewegung der Hand an der Stirn vorbei, als müßte sie das Zeugnis
dieser Person gleich entwerten.
Da Grigia nicht zu bewegen war, wieder in einen der um das Dorf
liegenden Heuställe zu kommen, schlug ihr Homo vor, mit ihm höher ins
Gebirge hinauf zu gehn. Sie wollte nicht, und als sie schließlich nachgab,
sagte sie mit einer Betonung, die Homo hinterdrein zweideutig vorkam,
»Guat; wenn man weg müass’n gehn.« Es war ein schöner Morgen, der noch
einmal alles umspannte; weit draußen lag das Meer der Wolken und der
Menschen. Grigia wich ängstlich allen Hütten aus, und auf freiem Felde
zeigte sie – die sonst stets von einer reizenden Unbekümmertheit in allen
Dispositionen ihrer Liebesstrategie gewesen war – Besorgtheit vor scharfen
Augen. Da wurde er ungeduldig und erinnerte sich, daß sie eben an einem
alten Stollen vorbeigekommen waren, dessen Betrieb auch von seinen
eigenen Leuten bald wieder aufgegeben worden war. Er trieb Grigia hinein.
Als er sich zum letztenmal umwandte, lag auf einer Bergspitze Schnee,
darunter war golden in der Sonne ein kleines Feld mit gebundenen Ähren, und
über beiden der weißblaue Himmel. Grigia machte wieder eine Bemerkung,
die wie eine Anzüglichkeit war, sie hatte seinen Blick bemerkt und sagte
zärtlich: »Das Blaue am Himmel lassen wir lieben hübsch oben, damit es
schön bleibt«; was sie damit eigentlich meinte, vergaß er aber zu fragen, denn
sie tasteten nun mit großer Vorsicht in ein immer enger werdendes Dunkel
hinein. Grigia ging voraus, und als nach einer Weile sich der Stollen zu einer
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Buch Grigia"
Grigia
- Titel
- Grigia
- Autor
- Robert Musil
- Datum
- 1924
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 21
- Kategorien
- Weiteres Belletristik