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Henri. Nun sind wir durch ein heiliges Sakrament vereinigt. Das ist mehr,
als menschliche Schwüre sind. Jetzt ist Gott über uns, man darf alles
vergessen, was vorher geschehen ist. Léocadie, eine neue Zeit bricht an.
Léocadie, alles wird heilig, unsere Küsse, so wild sie sein mögen, sind von
nun an heilig. Léocadie, meine Geliebte, mein Weib! … Er betrachtet sie mit
einem glühenden Blick. Hat sie nicht einen anderen Blick, Prospère, als Du
ihn früher an ihr kanntest? Ist ihre Stirn nicht rein? Was war, ist ausgelöscht.
Nicht wahr, Léocadie?
Léocadie. Gewiß, Henri.
Henri. Und alles ist gut. Morgen verlassen wir Paris, Léocadie tritt heute
zum letzten Male in der Porte St. Martin auf, und ich spiele heute das letzte
Mal bei Dir.
Wirthbetroffen. Bist Du bei Trost, Henri? – Du willst mich verlassen? Und
dem Direktor der Porte St. Martin wird’s doch nicht einfallen, Léocadie
ziehen zu lassen? Sie macht ja das Glück seines Hauses. Die jungen Herren
strömen ja hin, wie man sagt.
Henri. Schweig. Léocadie wird mit mir gehen. Sie wird mich nie verlassen.
Sag’ mir, daß Du mich nie verlassen wirst, Léocadie. Brutal. Sag’s mir!
Léocadie. Ich werde Dich nie verlassen!
Henri. Thätest Du’s, ich würde Dich … Pause. Ich habe dieses Leben satt.
Ich will Ruhe, Ruhe will ich haben.
Wirth. Aber was willst Du denn thun, Henri? Es ist ja lächerlich. Ich will
Dir einen Vorschlag machen. Nimm Léocadie meinethalben von der Porte St.
Martin fort – aber sie soll hier, bei mir bleiben. Ich engagiere sie. Es fehlt mir
sowieso an talentirten Frauenspersonen.
Henri. Mein Entschluß ist gefaßt, Prospère. Wir verlassen die Stadt. Wir
gehen auf’s Land hinaus.
Wirth. Auf’s Land? Wohin denn?
Henri. Zu meinem alten Vater, der allein in unserem armen Dorf lebt, – den
ich seit sieben Jahren nicht gesehen habe. Er hat kaum mehr gehofft, seinen
verlorenen Sohn wiederzusehen. Er wird mich mit Freuden aufnehmen.
Wirth. Was willst Du auf dem Lande thun? Auf dem Lande verhungert
man. Da geht’s den Leuten noch tausendmal schlechter als in der Stadt. Was
willst Du denn dort machen? Du bist nicht der Mann dazu, die Felder zu
bebauen. Bilde Dir das nicht ein.
Henri. Es wird sich zeigen, daß ich auch dazu der Mann bin.
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Der grüne Kakadu
- Titel
- Der grüne Kakadu
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 44
- Schlagwörter
- Groteske, Wahrheit, Lüge
- Kategorien
- Weiteres Belletristik