Seite - 27 - in Guido Adlers Erbe - Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
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ISBN Print: 9783847107217 – ISBN E-Lib: 9783737007214
fortschrittlichenBewegung stehendenElemente,weil nicht lebensfähig, unter-
gehen“.49 Wo dies nicht sogleich geschieht, werden diese zu „Schling- und
Schmarotzerpflanze[n]“,50 zudie Stilentwicklungbehindernden„Wucher-und
Aftergewächse[n]“.51
Diese organologische Sichtweise sollte ammusikwissenschaftlichen Institut
derUniversitätWien bald deutlich stärkeren evolutionistischen und biologis-
tischen Tendenzenweichen, die nichtmehr nur –wie Adler – bei der Kunst,
sondern auch beimKünstler und seiner Rasse ansetzten. Schmerzlichmusste
Adler zur Kenntnis nehmen, dass der auch auf Instituts- und Fakultätsebene
schon längst vorhandene Antisemitismus seine Entscheidungsmöglichkeiten
zunehmendeinschränkte.Wederkonnte er 1920dieVerleihungdesExtraordi-
nariates anRobert Lach (1874–1958) noch 1927 dessen Bestellung zu seinem
Nachfolger verhindern.52Zunehmendverbittert und resigniert, wohl auch aus
Sorge,dieChancenehemaligerSchüler53weiter zuminimieren,unterlässt er in
seinerAutobiographiejeglichenkonkretenHinweisaufdieseEntwicklungen.In
einer schließlich nicht gedruckten Version seines Vorwortes stellte er lapidar
fest:
So sehr ich von den Krisen des akademischen Betriebes in den letzten 30 Jahren
betroffenwurde[…]sowiderstandichdochderVersuchung,hierdavonzusprechen,
undvermiedes,derartigeVerhältnisseundeinzelnePersonen„minderen“Charakters
zukennzeichnen.[…]WirdeinspätererErzählermanchesaufdecken?Ichbleibebiszu
meinemletztenAugenblick in„reinerAtmosphäre“.54
49 Adler:Umfang,MethodeundZiel (Anm.17), S. 9.
50 Ebd., S. 10.
51 Adler: Methode der Musikgeschichte (Anm.24), S. 66. Eine amerikanische Dissertation
machte jüngstErnstHaeckel (1834–1919)alskonkretesVorbildnamhaft:Breuer:Thebirth
ofmusicology (Anm.15).
52 Siehe dazu Theophil Antonicek: Musikwissenschaft inWien zur Zeit Guido Adlers. In:
Studien zurMusikwissenschaft 37 (1986), S. 165–193, hier S. 189f. Siehe dazu auch den
Beitrag vonMarkus Stumpf in diesemBand: RaubundRückgabe der Bibliothek unddes
NachlassesGuidoAdlers–AnmerkungenundAktualisierungen.
53 Vgl. etwa die Schwierigkeiten, mit denenWellesz zu kämpfen hatte. Nina-MariaWanek:
EgonWellesz in Selbstzeugnissen. Der Briefnachlaß in derÖsterreichischen Nationalbi-
bliothek.Wien: Verlag derÖsterreichischen Akademie derWissenschaften 2010 (= By-
zantinaetNeograecaVindobonensia27), S. 195–201.
54 Adler:Wollen undWirken,Manuskriptfassung. University of Georgia (Athens), Hargrett
Special Collections Library, Guido Adler Papers, Box 33, Folder 9. Zu Adlers Eigenheit,
Unangenehmes nicht deutlich auszusprechen, sowie einer Tendenz zunehmenderAnony-
misierung imSchreibprozessselbst, sodass frühereFassungenofteinedeutlichereSprache
sprechenalsdiespätereDruckfassung,sieheBarbaraBoisits:Autobiographyanditshidden
layers: The case ofGuidoAdlers „WollenundWirken“. In: (Auto)Biography as aMusico-
logical Discourse. Hg. von Tatjana Markovic´ und Vesna Mikic´. Belgrad: Ton plus 2010
(=Musicological Studies:Proceedings3), S. 202–213.
ZurPersönlichkeitGuidoAdlers 27
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Guido Adlers Erbe
Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Titel
- Guido Adlers Erbe
- Untertitel
- Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Herausgeber
- Stefan Alker-Windbichler
- Murray Hall
- Markus Stumpf
- Verlag
- V&R unipress GmbH
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0721-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 316
- Schlagwörter
- Political Science, National Socialism, Nazi-looted, musical life, provenance research, Nationalsozialismus, NS-Raub, Musikleben
- Kategorie
- Kunst und Kultur