Seite - 74 - in Guido Adlers Erbe - Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
Bild der Seite - 74 -
Text der Seite - 74 -
© 2017, V&R unipress GmbH, Göttingen
ISBN Print: 9783847107217 – ISBN E-Lib: 9783737007214
Dabei wurde offenbar einvernehmlich beschlossen, die Manuskripte der
Musiksammlung derÖNB zu überantworten, die übrigen Bestände aber dem
Musikwissenschaftlichen Institut einzuverleiben, soweitdortnichtbereitsvor-
handen. Fünf Tage später teilte Schenk demKurator derWissenschaftlichen
Hochschulen inWienmit, dassman beschlossen habe, „eine genaue Inventa-
risierungdesvorhandenenMaterialsdurchzuführen,umDoppelstücke,die für
dasMusikwissenschaftliche Seminar ohneWert seien, anderenWiener Insti-
tuten zuführen zu können“.32 Schenk stellte – erfolgreich – einenAntrag, für
seinenMitarbeiter Carl Brand einen Arbeitsurlaub vomMilitärdienst zu er-
langen, um„einewissenschaftlich geschulteHilfskraft zwecksAufstellung des
Inventars“ zu erhalten. DiesemAntrag wurde stattgegeben, CarlMaria Brand
erstellte einvollständiges Inventar.
1.786/42.Augenzeuge dieses Vorgangs war Rudolf von Ficker, der sich – gemäß eigener
Aussage in einemMemorandum für dieUntersuchung desUnterrichtsministeriums nach
demEndedesNS-Regimesvom28.Mai1945,das sichunteranderemimNachlassWellesz
(Anm.13)befindet–nachWienbegebenhatte,weilMelanieAdler ihmnichtmehraufseine
Briefeantwortete(vgl.auchAnm.28).BeidieserGelegenheitsollennachderDarstellung in
besagtemMemorandum(S.2f.) die berüchtigtenWorte Schenks gefallen sein: „Bei einem
Besuche immusikwissenschaftlichen Seminarwar ich zufällig Zeuge, wie dort gerade die
BibliothekAdlers samtallenpersönlichenDokumentenabgeladenundaufgestapeltwurde.
Prof. Schenk,den ich früherpersönlichnichtkannte, teiltemirzurAufklärungmit,Frl.Dr.
Adlerhabe sich ,saudumm‘benommen, siehabe sichgegendasGesetz vergangen,weil sie
gegendievonihmbeiderGestapobewirkteBeschlagnahmederBibliothekprotestierthätte.
Siesei jetzt flüchtig,werdejedochvonderGestaposchongefundenwerdenunddannheisse
es ,Marsch,nachPolen‘!ÜberdasweitereSchicksalFrl.Dr.Adlershabe ichseitdemnichts
mehrvernommen.SiebliebspurlosverschwundenundesbestehtwohlkeinZweifel,dasssie
demihr vonProf. SchenkzugedachtenSchicksal trotzallerGegenbemühungenzumOpfer
gefallen ist.“ (vgl. Anm.28). In einemweiterenMemorandum (Anm.31) hat von Ficker
ergänzt:„Inmeinerbereits imMemorandumerwähnteneinzigenUnterredungmit ihm(am
8.5.1942)erklärteProf.Schenk,erhätteFrl.Dr.AdlerdenVorschlaggemacht,dieBibliothek
dem Seminare zu überlassen, wogegen er ihr die Ausreise nach Italien verschafft hätte.
Infolge ihrer Weigerung sei er genötigt gewesen, die Bibliothek durch die Gestapo be-
schlagnahmen zu lassen. Dies sei ihm auch ,von oben‘ – vermutlichmeinte er damit die
DozentenführungderUniversität? – nahe gelegt worden.“Natürlichmuss derWahrheits-
gehaltderAussagenvonFickersdahingestelltbleiben.DassvonFickeroffensichtlichbemüht
war, Schenk in schlechtestemLicht darzustellen – angeblich, umdessen Lehrstuhl zu er-
langen (so Schenks eigenerVerdacht, vgl. Pape: Erich Schenk (Anm. 1), S. 424f.) –, stellt
jedochnochkeine faktischeWiderlegung seinerAussagendar.Diese zeitigten imÜbrigen
keinerleiKonsequenzen.ErichSchenkwurdenachdemKrieg inder ebenerwähntenFuß-
notevonallenVorwürfenfreigesprochen,undzwarvonjenemSektionschefOttoSkrbensky,
der vom Ständestaat bis in die Nachkriegszeit imMinisterium durchgängig für die Uni-
versitätenzuständiggewesenwar(vgl.IrmgardSchartner:DieStaatsrechtlerderjuridischen
Fakultät derUniversitätWien im ,Ansturm‘ desNationalsozialismus.UmbrüchemitKon-
tinuitäten. Frankfurt/Main: Peter Lang 2011, S. 304–308). Der originale Briefwechsel mit
Melanie Adler, den von Ficker an Skrbensky angeblich über einen französischen Besat-
zungssoldatenübermittelte, ist verschollen.
32 Brief vom13.Mai1942 inSN(Anm.5).
WolfgangFuhrmann74
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Guido Adlers Erbe
Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Titel
- Guido Adlers Erbe
- Untertitel
- Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Herausgeber
- Stefan Alker-Windbichler
- Murray Hall
- Markus Stumpf
- Verlag
- V&R unipress GmbH
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0721-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 316
- Schlagwörter
- Political Science, National Socialism, Nazi-looted, musical life, provenance research, Nationalsozialismus, NS-Raub, Musikleben
- Kategorie
- Kunst und Kultur