Seite - 91 - in Guido Adlers Erbe - Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
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© 2017, V&R unipress GmbH, Göttingen
ISBN Print: 9783847107217 – ISBN E-Lib: 9783737007214
Es ist nun ein offenes Geheimnis, dass Hofrat Adler infolge der immermehr über-
handnehmenden reaktionären Tendenzen an derWiener Universität in den letzten
JahrennichtmehrunumschränktenEinfluß auf alle das FachbetreffendeDinge aus-
zuüben vermochte, wie es ihm seiner wissenschaftlichen Bedeutung in der Gelehrt-
enweltundseinengroßenVerdienstengemäßzugekommenwäre.
[…]AndersHerrProfessorLach.UrsprünglichKomponist,hatsichDr.Lacherstnach
dauerndenMißerfolgen auf diesemGebiete derMusikwissenschaft zugewendet.Von
glühendemHassegegenalle erfolgreichenmodernenKomponistenbeseelt, suchte er
seine akademische Stellung zur „Vernichtung“ des zeitgenössischenMusikschaffens
auszunützen, als dessenGipfelpunkt an verabscheuenswürdigerGeschmacklosigkeit
ihmkeinandereralsRichardStraußgilt.28
Der zeithistorischeKontext des reaktionärenUmfelds anderUniversitätWien
beiderBerufungLachswurdeauch ineinemweiterenZeitungsartikel,der sich
ebenfalls im 1951 restituiertenNachlass Adlers befindet, deutlich. Unter dem
Titel „EineKulturschande anderUniversität.Die antisemitischenAnschlagta-
feln in der Aula“ wurde in derNeuen Freie Presse am 20.Dezember 1926 die
Universitätsleitungaufgerufen,gegendasantisemitischeUnwesen,das sichauf
„Schritt undTritt“ an derUniversitätWien findet, vorzugehen. Angeschlagen
wurdenTextewie: „Die JudensinddieminderwertigsteKöterrasse,die aufder
Welt ihr Unwesen treibt“; „sie sind eine scheußliche Bastardrasse, die größte
Promenadenrasse, welche […] überall Fäulnis undMorast verbreitet!“ Dazu
wurde weiter kritisch ausgeführt: „Dies ist nicht etwa an denWänden einer
Schnapsbude oder eines Irrenhauses zu lesen, sondern an einerAnschlagtafel
derNationalsozialistenanderWienerUniversität,gleichbeiderAula,wotäglich
tausendeStudentenvorübergehen.“29
Dennochscheint sichderobenzitierteArtikelnuraufden internenEinfluss
GuidoAdlers an der Universität beziehen zu können: zu international waren
sein Netzwerk und seine Forschungstätigkeiten. Auchwollte Adler sich noch
1927mit derWienermusikwissenschaftlichenTagung zudenBeethoven-Zen-
tenarfeiern einDenkmal setztenundgleichzeitigdiePopularität desLiteratur-
nobelpreisträgersRomainRolland (1866–1944)unddessenBeethoven-Biogra-
phie (Vie de Beethoven, 1903; dt. 1918) für die Internationalisierung derMu-
sikwissenschaft nutzen. Eine Idee, die aufging, denn bereits imHerbst 1927
wurde die Internationale Gesellschaft fürMusikwissenschaft in Basel gegrün-
det.30 So fand sich auch in einem2012/13 restituiertenWerk31 eineWidmung
28 UGL, Hagrett RB&ML,Manuscript and Photographs, Guido Adler Collection,MS 769,
Box56, Folder 12, EineGefahr für dasWienerMusikleben. In:DerTag,Wien,Nr. 1540,
16.3.1927.
29 UGL,HagrettRB&ML,ManuscriptandPhotographs,GuidoAdlerCollection,MS769,Box
50.EineKulturschandeanderUniversität.DieantisemitischenAnschlagtafeln inderAula.
In:NeueFreiePresse, 20.12.1926, S. 6.
30 Vgl.GabrieleJohannaEder:Beethoven,dieMusikwissenschaft,dieDichtungunddiePolitik.
RaubundRückgabederBibliothekunddesNachlassesGuidoAdlers 91
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Guido Adlers Erbe
Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Titel
- Guido Adlers Erbe
- Untertitel
- Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Herausgeber
- Stefan Alker-Windbichler
- Murray Hall
- Markus Stumpf
- Verlag
- V&R unipress GmbH
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0721-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 316
- Schlagwörter
- Political Science, National Socialism, Nazi-looted, musical life, provenance research, Nationalsozialismus, NS-Raub, Musikleben
- Kategorie
- Kunst und Kultur