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14 I. Einleitung
I.3. Regionale Unterschiede der Zunft-Bezeichnungen und
Definitionsversuch
Eine eindeutige Definition des Phänomens „Zunft“ zu geben, gestaltet sich bereits im
Ansatz schwierig, zu vielschichtig sind die verschiedenen Erscheinungsformen, die in der
vorliegenden Forschungsliteratur unter diesem Begriff subsumiert worden sind. Eindeu-
tiger ist zumindest die grobe Unterscheidung zwischen „Gilde“ und „Zunft“ – wenigs-
tens in der Begrifflichkeit der historischen Forschung: Hier hat sich über die Jahrzehnte
hinweg der Gebrauch von „Gilde“ für Kaufleutekorporationen und von „Zunft“ für ge-
nossenschaftliche Handwerkervereinigungen durchgesetzt20. Dieser Differenzierung liegt
allerdings zu einem großen Teil die praktische Überlegung der Eindeutigkeit von wis-
senschaftlichen Begriffsanwendungen zugrunde; weiters wird die Tatsache berücksichtigt,
dass „Zunft“ in den Quellen nur selten für Vereinigungen von Kaufleuten Verwendung
findet21. In historischen Quellen ist der Unterschied zwischen den beiden Ausdrücken
allerdings mehr geographisch als inhaltlich begründet22.
Für genossenschaftliche Handwerkervereinigungen finden sich zahlreiche Quellenbe-
griffe, bei deren Verwendung regionale Schwerpunkte zu bemerken sind: Während im
nördlichen deutschen Sprachraum die Bezeichnungen „Gilde“ und „Amt“ (ambacht, lat.
officium) stark verbreitet waren, so war in Mitteldeutschland „Innung“ (bzw. in der ober-
deutschen Variante „Einung“)23 vorherrschend. Der Begriff „Zunft“ ist in seinen ersten
Belegen im 12. bzw. 13. Jahrhundert von typisch oberdeutscher Herkunft; das Zentrum
seiner Verwendung im hochalemannischen Sprachgebiet lag um den Bodensee und brei-
tete sich bis zum späten Mittelalter immer weiter in Richtung Norden und Osten aus.
„Zeche“ schließlich ist schwerpunktmäßig ein oberdeutscher (bayerisch-österreichischer)
Ausdruck. Der Ausgangspunkt dieser Bezeichnung ist eindeutig der südöstliche Donau-
raum, von wo aus er im Laufe des späten Mittelalters nach Böhmen, Mähren und Schle-
sien expandierte24.
Der daneben oftmals – auch in der Forschungsliteratur – verwendete Begriff „Bruder-
schaft“ (fraternitas), der tatsächlich in den Quellen nachweisbar ist, wirft hingegen eine
eigene Problematik auf: Er bezieht sich auf unterschiedliche soziale Gebilde wie Städte-
bündnisse, Gebetsverbrüderungen, Handwerker- und Gesellenvereinigungen und selbst-
verständlich auch auf Vereinigungen mit primär religiös-geselligen Zielsetzungen25 und
wird deswegen in der vorliegenden Arbeit nur mit großer Vorsicht und bei einem deutlich
20 Aus der Vielfalt der diese Frage diskutierenden Literatur seien zwei noch immer grundlegende Auf-
sätze genannt. Schmidt-Wiegand, Bezeichnungen 51f., und Irsigler, Problematik 70, sprechen sich beide
für eine praktisch orientierte Unterscheidung der Begriffe in dieser Form aus. Die systematische Trennung von
„Gilde“ und „Zunft“ steht auch in der neueren Literatur außer Frage, wie beispielsweise bei Kluge, Zünfte 22;
Schulz, Handwerk 41, und Isenmann, Stadt 803.
21 Kluge, Zünfte 22; Isenmann, Stadt 803.
22 Schulz, Handwerk 41.
23 Der Begriff kommt auch in Wiener Quellen vor, meint allerdings in der Regel nicht eine Organisa-
tionsform von Handwerkern, sondern Abmachungen zwischen Meistern gleicher Handwerkszweige, beispiels-
weise Preisabsprachen. Die städtische bzw. landesfürstliche Obrigkeit ging besonders im 14. Jh. vermehrt gegen
diese ainungen vor. Siehe dazu Zatschek, Handwerk 22, und unten S. 24–26.
24 Obst, Wandel 255; Schmidt-Wiegand, Bezeichnungen 34–37; Kluge, Zünfte 24–27; Schulz,
Handwerk 41.
25 Kluge, Zünfte 23; Isenmann, Stadt 657f.
Das Wiener Handwerksordnungsbuch
(1364–1555)
- Titel
- Das Wiener Handwerksordnungsbuch
- Untertitel
- (1364–1555)
- Autor
- Markus Gneiß
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20418-3
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 674
- Schlagwörter
- Late Medieval Vienna, Craft ordinances, Craftsmen, Late Medieval Urban Administration, Commented Edition, Wien im Spätmittelalter, Handwerksordnungen, Handwerker, Spätmittelalterliche Stadtverwaltung, Kommentierte Edition
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen