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IV.2. Gesellen und Gesellenschaften 81
jedoch die Gesellenschaft von der kirchlichen Bruderschaft getrennt. Seit der Reforma-
tion sei schließlich laut Schanz die weltlich orientierte Gesellenschaft dominant gewesen,
welche die letzten religiös-karitativen Aufgaben der Bruderschaften übernommen habe460.
Eine jüngere Variante des Ansatzes von Schanz ist beispielsweise bei Georg Fischer aus
der Mitte des 20. Jahrhunderts zu finden. Dieser widerspricht zwar nicht der zünftischen
Abschließungsthese von Schanz, stellt aber anders als dieser den Familienverband in den
Mittelpunkt. Dadurch, dass die Zunft sich gegenüber den Gesellen abgeschlossen habe,
sei es für die vorwiegend verheirateten Gesellen zur sozialen Absicherung ihrer Familie
unumgänglich gewesen, sich zu Verbänden zusammenzuschließen461. Fischers Theorie
fußt allerdings auf der falschen Annahme einer großen Zahl an verheirateten Gesellen.
Für das 14. Jahrhundert, die Zeit der Entstehung der ersten Gesellenschaften, war ein
Geselle mit eigener Familie eher die Ausnahme denn die Regel462.
IV.2.2.2. Wilfried Reininghaus’ Abkehr vom Erklärungsmodell nach Schanz
Wilfried Reininghaus wandte sich in seiner 1981 im Druck erschienenen Disserta-
tion gegen einige von Georg Schanz’ Thesen und darauf aufbauende Forschungen und
Erklärungsansätze. Laut Reininghaus sei bereits Schanz’ Grundannahme des Arbeitskräf-
teüberschusses falsch, vielmehr habe im 14. Jahrhundert in den von Schanz untersuchten
Städten ein Mangel an potentiellen Handwerkern geherrscht463. Auch die von Schanz
postulierte „Schließung der Zünfte“ im Laufe des 14. Jahrhunderts und die damit ver-
bundenen Schwierigkeiten, zur Meisterwürde zu gelangen, lehnt Reininghaus als Grund
für den Zusammenschluss der Gesellen ab, da im Zeitraum der schriftlichen Fixierung der
älteren Zunftordnungen im deutschsprachigen Raum – also zwischen 1350 und 1410 –
bereits erste Gesellengilden existiert hätten464.
Reininghaus schlägt in seinem Erklärungsmodell mehrere Faktoren für die Entstehung
von Gesellenschaften vor. Erstens scheint die Pest eine große Rolle in der „Konstituierungs-
phase“ der Zusammenschlüsse von Gesellen gespielt zu haben: Erst durch diese Seuchen-
wellen, die ab der Mitte des 14. Jahrhunderts einsetzten und bis um 1420 immer wieder
auftraten, sei es zu einem Arbeitskräftemangel gekommen, der wiederum zu einem ange-
spannten Verhältnis zwischen den Meistern und Gesellen geführt habe. Besonders in Lohn-
fragen hätten sich die beiden Gruppen entzweit: Die Gesellen hätten versucht, die gute
Konjunktur in den Gebieten des Mittel- und Oberrheins ab Mitte des 14. Jahrhunderts zu
nützen und hätten häufig ihre Arbeit niedergelegt, um ihre Ziele zu erreichen465. Entschei-
dend seien laut Reininghaus aber nicht nur allein diese konjunkturellen Entwicklungen
gewesen, vielmehr hätte auch die Anzahl der Gesellen eines Handwerks oder einer Stadt
eine gewisse Größe erreichen müssen. In Städten mit weniger als 2.000 Einwohnern, also
Kleinstädten, seien im Spätmittelalter beispielsweise keine Gesellenschaften aufgetreten466.
Ein weiterer Punkt der Unzufriedenheit habe die allgemeine tägliche und jährliche
Arbeitszeit betroffen, welche die Gesellen zu reduzieren versuchten. Die teilweise erfolg-
460 Ebd. 93–101.
461 Fischer, Volk 141f.
462 Reininghaus, Gesellengilden 218, 225; Kluge, Zünfte 171f., 200.
463 Reininghaus, Gesellengilden 34–37.
464 Ebd. 29–33.
465 Ebd. 34–42.
466 Ebd. 42–46.
Das Wiener Handwerksordnungsbuch
(1364–1555)
- Titel
- Das Wiener Handwerksordnungsbuch
- Untertitel
- (1364–1555)
- Autor
- Markus Gneiß
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20418-3
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 674
- Schlagwörter
- Late Medieval Vienna, Craft ordinances, Craftsmen, Late Medieval Urban Administration, Commented Edition, Wien im Spätmittelalter, Handwerksordnungen, Handwerker, Spätmittelalterliche Stadtverwaltung, Kommentierte Edition
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen