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IV.2. Gesellen und Gesellenschaften 87
scheinbare Unkontrollierbarkeit der Gesellenschaften einher, die sich „heimlich“ – also
nicht von den Meistern autorisiert – trafen. Wie bereits erwähnt, fanden solche Zusam-
menkünfte ja oftmals an den arbeitsfreien Tagen statt. Mitunter sah der Stadtrat wahr-
scheinlich auf Betreiben der Handwerksmeister keine andere Lösungsmöglichkeit, die
Gesellen zu disziplinieren, als sie gefangen zu nehmen.
Zum ersten Mal wird für das Jahr 1418 gemeldet, dass zahlreiche – im Text sogar na-
mentlich genannte – Weißgerbergesellen auf Bitte ihrer Meister aus der Gefangenschaft
entlassen wurden. Ein genauer Grund für die Gefangennahme wird nicht genannt, die
Meister müssen jedenfalls bei der Entlassung ihrer Gesellen vor dem Bürgermeister und
Rat den Eid ablegen, das dieselben knecht bey der stat hie mit irm leib und gùt bleiben sollen
und das sy in die an waygrung und an vertziehen all miteinander hinwider antwurten und
stellen an gevèr504. Aus dem Jahre 1433 sind gleich zwei Belege über Arrestierungen von
Gesellen überliefert. Am 30. Juli 1433 werden die Vierer der Messerergesellenschaft aus
der Gefangenschaft im Ratsturm entlassen und für die Dauer eines Jahres der Stadt ver-
wiesen505. Dieselbe Strafe erhalten auch die Vierer der Kürschnergesellenschaft am 8. Au-
gust 1433506. In beiden Fällen werden die Gesellen desselben Vergehens beschuldigt: Die
vier bestraften Personen werden als vierer und zechmaister der betreffenden Gesellenschaft
dafür zur Verantwortung gezogen, dass sich die Gesellen unerlaubterweise versammelt
und sich offenbar bei dieser Gelegenheit über neue Regelungen ihre Arbeit betreffend
abgesprochen hätten507.
Wie an den obigen Beispielen gut zu sehen ist, spitzten sich die Auseinandersetzun-
gen und Diskussionspunkte zwischen Handwerksmeistern und -gesellen offenbar in den
1430er Jahren in einem derartigen Ausmaß zu, dass der Stadtrat rigorose Schritte gegen
die Gesellenschaften setzen musste. Am 22. Jänner 1439 wurde schließlich mit dem Erlass
einer für alle Handwerksgesellen gültigen Ordnung versucht, die Probleme in den Griff
zu bekommen508. Breiten Raum nimmt in diesem Text erwartungsgemäß die Frage nach
der Freizeit der Gesellen im Generellen und nach dem richtigen Ablauf des Umtrunks
bzw. der Umschau ein. Der Rat bestimmt, dass der Begrüßungsumtrunk für einen neu
zugewanderten Gesellen keinesfalls an einem Werk-, sondern nur an einem Feiertag statt-
finden dürfe. Selbiges legt er auch für die Verabschiedung des Gesellen fest, da auch zu
diesem Anlass ein geselliges Treffen üblich war. Abermals wird festgehalten, dass lediglich
zwei Gesellen dem Neuankömmling werktags bei der Arbeitssuche helfen sollten509. Der
Rat regelt in diesem Zusammenhang sogar konkret, dass ein Geselle beim Schenken an
504 Siehe Nr. 176, und unten S. 119. Vgl. zu einem schon etwas weiter zurückreichenden Konflikt
zwischen den Meistern und Gesellen auch WStLA, H. A.-Akten 23/15. Jh. Dieser Akt enthält zwei Beschlüsse
einer Versammlung der Weißgerbermeister und -gesellen aus dem Jahre 1416, in der diese sich auf verschiedene
Artikel einigten. Unter anderem werden Fragen nach der Anstellung von Lehrlingen und Verfehlungen von
Meistern und Gesellen geklärt, die zu einer Weigerung, für diesen Meister zu arbeiten bzw. den betreffenden
Gesellen anzustellen, führen können. Die Beschlüsse wurden sowohl für die Gesellen (der geselln briff) als auch
für die Meister (der maister briff) niedergeschrieben.
505 Siehe Nr. 100.
506 Siehe Nr. 159.
507 So heißt es zum Beispiel wörtlich in dem Ratsentscheid über die Kürschnergesellen: darumb das sy
der kùrsnerknecht vierer und zechmaister gewesen sein und alweg uber XIIII tag samung gehabt und wider der stat
ordnung new aufsetz gemachtt und aneinander gepessert habent, daraus der stat merklich schad mohtt entsprungen
sein (Edition Nr. 159). Vgl. dazu auch Zatschek, Handwerk 174; Just, Vorgehen 14.
508 Siehe Nr. 244.
509 Siehe Nr. 244 Art. 1; Zatschek, Handwerk 179.
Das Wiener Handwerksordnungsbuch
(1364–1555)
- Titel
- Das Wiener Handwerksordnungsbuch
- Untertitel
- (1364–1555)
- Autor
- Markus Gneiß
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20418-3
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 674
- Schlagwörter
- Late Medieval Vienna, Craft ordinances, Craftsmen, Late Medieval Urban Administration, Commented Edition, Wien im Spätmittelalter, Handwerksordnungen, Handwerker, Spätmittelalterliche Stadtverwaltung, Kommentierte Edition
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen