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IV.2. Gesellen und Gesellenschaften 105
Um die Chancengleichheit zwischen den einzelnen Meistern eines Gewerbes zu er-
höhen, wurden in vielen Ordnungen auch Höchstzahlen der aufgedingten Gesellen pro
Meister festgelegt, jedoch scheinen diese Punkte nur in wenigen Fällen wirklich strikt
eingehalten worden und mehrheitlich eine Maßnahme gewesen zu sein, um Chancen-
gleichheit zwischen den Meistern eines Handwerks herzustellen.
Die durch die Angaben des HWOB für das 15. und frühe 16. Jahrhundert erhobe-
nen Löhne der Gesellen müssen ebenso mit Vorsicht interpretiert werden, da für eine
repräsentative Auswertung systematische, jährlich geführte Aufzeichnungen fehlen. So
ergeben sich meist nur punktuelle Einblicke in als Richtlinien dienende Normvorgaben
von Lohnhöhen, die mitunter auch der jeweiligen wirtschaftlichen Situation in der Stadt
angepasst wurden677. Dass der Wettbewerb um die sich vor Ort aufhaltenden Gesellen
groß gewesen sein muss, zeigen die zahlreich vorhandenen Verbote von übertrieben ho-
hen Lohnangeboten und von Abwerbungen der Gesellen durch anscheinend lukrative
Darlehensangebote. Trotz allem dürften die in den Ordnungen angegebenen Löhne Aus-
gangspunkt für die Lohngestaltung der Meister gewesen sein, wobei eine individuelle An-
passung nach den Fertigkeiten der Gesellen wohl die Regel war: In zahlreichen untersuch-
ten Handwerken bekam nur der kunstfertigste Bedienstete den vollen Lohn, während die
weniger fleißigen oder geschickten Gesellen mit Lohneinbußen rechnen mussten. Kost
und Unterkunft im Haushalt des Meisters zählten in der Regel zum Lohn.
Die täglichen Arbeitszeiten wurden ebenso in den Ordnungen fixiert, jedoch scheint
dieses Thema häufig zu Konflikten zwischen Meistern und Gesellen geführt zu haben. In
manchen Gewerben gab es Unterschiede zwischen Sommer- und Winterarbeit, die sich
auch in den Lohnsätzen widerspiegelten. Tendenziell war es das Bestreben der Gesellen,
mehr Freizeit zu erlangen und die Arbeitszeiten zu verringern, wie sich in der im ersten
Viertel des 15. Jahrhunderts beginnenden Entwicklung des blauen Montags zeigt. Dieser
dürfte sich bis in das 16. Jahrhundert kaum dauerhaft und in allen Gewerben mit Willen
der Obrigkeit durchgesetzt haben, in vielen Ordnungen wiederholen sich immer wieder
diesbezügliche Verbote. Die ständige Bekämpfung des blauen Montags deutet allerdings
wiederum auf eine durchaus gängige Praxis des freien Tags am Beginn der Woche hin,
zumindest dürfte das Problem bis weit in die Frühe Neuzeit aktuell gewesen sein.
677 Zatschek, Handwerk 189–191, hebt hervor, dass die Lohnangaben des 15. Jhs. wenig aussagekräf-
tig sind, da sie nicht verraten, wie viel ein Geselle tatsächlich bekam. Generell attestiert er den Taglohnsätzen
eine bessere Anpassungsfähigkeit an Preissteigerungen als der Zahlungsform des Wochenlohns. Dirlmeier,
Untersuchungen 167–173, 203, zeigt für den oberdeutschen Raum, dass die in den Ordnungen genannten
Taxlöhne als Richtlinie für vergleichende Lohnberechnungen brauchbar sind; der Unterschied zwischen den
Taxlöhnen und den nachweislich bezahlten scheint in vielen Fällen nicht allzu groß gewesen zu sein. Einen
Blick auf die generell sehr schwankende wirtschaftliche Situation im Spätmittelalter liefert Pribram, Materia-
lien 269, wo anhand der Rechnungen des Wiener Bürgerspitals (bzw. teilweise des Wiener Pilgramhauses) die
Preisentwicklung für einen Metzen Getreide angegeben wird; allein beim Weizen schwankt der Preis zwischen
144 Pfennigen im Jahr 1533 und 18,92 Pfennigen im Jahr 1451. Die ebd. 344f. angegebenen Löhne, welche
das Bürgerspital an Maurer- und Zimmerleutegesellen als Taglohn zahlte, blieben jedoch von 1440 bis 1540
– entgegen der oben formulierten Annahme Zatscheks – in konstanter Höhe von 24 Pfennigen (mit Kost).
Die Preis- und Lohntabellen des Stifts Klosterneuburg bieten im 15. Jh. dasselbe Bild wie die Rechnungen des
Wiener Bürgerspitals, siehe ebd. 447–449, 515f. Aufbauend auf diesen Angaben Přibrams kommt auch Bert-
hold, Brotsatzungen 25, zu einem ähnlichen, die Preisentwicklung im Spätmittelalter betreffenden Befund.
Für oberdeutsche Städte sieht Dirlmeier, Untersuchungen 175, 220, 533, ebenfalls ein um 1500 zunehmendes
Zurückbleiben der Löhne hinter der Preisentwicklung und eine Verschlechterung des Verhältnisses zwischen
Einkommen und Lebenshaltung. Siehe zur Ermittlung von Lebenshaltungskosten von einem durchschnittli-
chen Haushalt im Spätmittelalter allgemein auch ders., Problem passim.
Das Wiener Handwerksordnungsbuch
(1364–1555)
- Titel
- Das Wiener Handwerksordnungsbuch
- Untertitel
- (1364–1555)
- Autor
- Markus Gneiß
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20418-3
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 674
- Schlagwörter
- Late Medieval Vienna, Craft ordinances, Craftsmen, Late Medieval Urban Administration, Commented Edition, Wien im Spätmittelalter, Handwerksordnungen, Handwerker, Spätmittelalterliche Stadtverwaltung, Kommentierte Edition
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen