Seite - 110 - in Das Wiener Handwerksordnungsbuch - (1364–1555)
Bild der Seite - 110 -
Text der Seite - 110 -
110 IV. Inhaltliche Aspekte
cherungsmaßnahmen der Zünfte in den sächsischen Städten Chemnitz, Dresden, Leipzig
und Zwickau vom 15. bis zum beginnenden 19. Jahrhundert zeigt Marcel Korge, dass bei
den Gesellenschaften besonders die Krankenunterstützung im Vordergrund stand und ein
großer Teil der jährlichen Ausgaben von der Versorgung erkrankter Gesellen herrührte711.
Neben der Absicherung im Krankheitsfall zählte auch die Organisation des Begräb-
nisses von verstorbenen Kollegen zu einer wichtigen Funktion der Meister- und Gesel-
lenvereinigungen. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gehörte es zu den Grund-
bedürfnissen eines Menschen, mit einem „ehrlichen“ – also nach bestimmten Normen
ablaufenden – Begräbnis verabschiedet zu werden712. Gerade bei Gesellen, die oftmals
fernab der Heimat lebten, konnte die Familie kaum für eine entsprechende Bestattung
sorgen, weswegen sich die Gesellenschaften dieses Problems annahmen.
Auch in den Wiener Ordnungen finden sich zahlreiche Hinweise auf diese Aufgaben-
bereiche der Gesellenschaften. Die häufigste Form der Unterstützung im Krankheitsfall
dürfte die Vergabe von Darlehen gewesen sein, die im Falle einer vollständigen Genesung
im Laufe einer mehr oder weniger deutlich festgelegten Zeit zurückgezahlt werden muss-
ten. Die Gesellenschaften ermöglichten damit dem Kranken, der arbeitsunfähig war und
wahrscheinlich auch keinen Lohn erhielt, eine rasche finanzielle Unterstützung.
Schon in der Ordnung der Schneidergesellen von 1442 wird diese Form der sozialen
Sicherung angegeben: Dem kranken Gesellen soll aus der Büchse Geld in unbestimm-
ter Höhe nach Ermessen der Arbeitskollegen (nach irm versteen) ausgezahlt werden, eine
Rückzahlung wird allerdings nicht erwähnt. Jedenfalls ist es dem wieder genesenen Gesel-
len verboten, ohne Wissen der vier Büchsengesellen aus Wien wegzuziehen. Im Todesfall
werden das Gewand und andere Teile des Nachlasses des Verstorbenen zur Finanzierung
der Bestattung verwendet, der Rest sollte in die Büchse fallen713. Bei den Kürschnergesel-
len ist 1445 erstmals ein vollausgebildetes Darlehenssystem zu sehen: Dem kranken Ge-
sellen werden 60 Pfennige geliehen, im Genesungsprozess selbst können nochmals sechs
Schilling Pfennige ausgezahlt werden. Wenn der Geselle wieder gesund wird, muss er das
Geld binnen vier Wochen zurückzahlen, wobei nach Rücksprache auch eine längere Frist
möglich ist714. Die Begräbniskosten können entweder wiederum durch den Nachlass des
Verstorbenen oder – falls dies nicht ausreicht – durch die Büchse gedeckt werden715.
Auch die Schustergesellen (1463) verleihen an ihren kranken Kollegen Geld, das all-
fällige Begräbnis wird aus dem Nachlass bezahlt; was danach aus seinem Hab und Gut
übrigbleibt, das fällt nicht automatisch an die Gesellenschaft, sondern soll mit oder ohne
Verfügung des Verstorbenen an die rechtmäßigen Erben gegeben werden716.
In der Nadlergesellenordnung von 1479 finden sich die Bestimmungen im Krank-
heits- und Todesfall gleich zu Beginn der Verfügungen. Wiederum wird dem kranken Ge-
711 Korge, Kollektive Sicherung 292–295.
712 Ebd. 297.
713 Siehe Nr. 82 Art. 5.
714 Siehe Nr. 252 Art. 4.
715 Siehe Nr. 252 Art. 5.
716 Siehe Nr. 86 Art. 11. Es muss natürlich offen bleiben, ob die Gesellenschaft nicht doch einen gro-
ßen Teil des Nachlasses übernahm, da es sicher nicht immer einfach war, die nächsten Erben des verstorbenen,
nicht aus Wien stammenden Kollegen ausfindig zu machen. Eine solche – jedoch nicht auf Gesellen bezogene
– Erbensuche ist z. B. in T₂ fol. 211v aus dem Jahr 1416 überliefert. Hier wird berichtet, dass man Mertel, dem
Sohn des Heinrich Schneider, und seinem Vetter Jörg Schremmel ein Erbe nicht ausbezahlen wolle, solange
nicht klar sei, ob der Bruder Jörgs, Peter Schremmel, noch am Leben sei oder nicht. Der Richter der Stadt Ofen
teilt dem Wiener Rat daraufhin mit, dass Peter Schremmel tot sei; vgl. FRA III/10/4 Nr. 2307.
Das Wiener Handwerksordnungsbuch
(1364–1555)
- Titel
- Das Wiener Handwerksordnungsbuch
- Untertitel
- (1364–1555)
- Autor
- Markus Gneiß
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20418-3
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 674
- Schlagwörter
- Late Medieval Vienna, Craft ordinances, Craftsmen, Late Medieval Urban Administration, Commented Edition, Wien im Spätmittelalter, Handwerksordnungen, Handwerker, Spätmittelalterliche Stadtverwaltung, Kommentierte Edition
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen