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Handwörterbuch der Philosophie
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Anschauung — Anschauungsformen. 35 geistige, übersinnliche, unmittelbare Erfassung des Wesens der Dinge, der absoluten Wirklichkeit; Schauen des (göttlichen) Intellekts, der über den von Objekt und Subjekt hinaus- gehend, das Seiende so erfaßt, wie es an sich ist; unmittelbares Erfassen des geistigen Produzierens. Die „intellektuelle Anschauung" ist, soviel von einer solchen beim Philosophen die Rede sein kann, eine Leistung der Ein- fühlung (s. d.) in die Dinge, der Phantasie und des spekulativen Denkens, bzw. der Besinnung auf das Wesen der eignen Geistestätigkeit; das Resultat solcher Prozesse ist ein „synthetisches Schauen" auf Grundlage von nicht zum Bewußtsein kommenden Operationen, die nichts Mystisches an sich haben. Ein geistiges, produktives, die Gegenstände der Anschauung erzeugendes Schauen besitzt der kosmische Geist (vovg) nach PLOTIN (Enneaden III, 8; VI, 9, 3), Gott nach AUGUSTINUS (Confessiones, XIII, 53) u. a. NICOLAUS CUSANUS spricht von einer „visio KANT glaubt an ein gött- liches, urbildliches Schauen (De sensibil. sct. II, § 10). Intellektuell ist eine nicht auf „Rezeptivität", sondern auf Selbsttätigkeit, schöpferischer Produk- tivität beruhende Anschauung, „durch die selbst das Dasein des Objekts der Anschauung gegeben wird" die nur Gott zukommen kann (Krit. d. rein. Vern., S. 72, 75, 685). Unsere menschliche Anschauung ist stets sinnlich und bezieht sich nur auf die Erscheinungen (s. d.) der Dinge, nicht auf das Über- sinnliche (gegen EBERHARDS Lehre). Schon der Nachfolger Kants, FICHTE nimmt eine int. Anschauung an und versteht darunter „das unmittelbare Be- wußtsein, daß ich handle und was ich handle", „das, wodurch ich etwas weiß, weil ich es tue" (WW. I, 463); sie ist die Urquelle der philosophischen Erkenntnis, der Rückgang auf die produktiv-synthetische Funktion des Geistes (s. Ich). Nach SCHELLING ist die produktive Anschauung schon intellektuell, der erste Schritt des zur Intelligenz. Unter int. A. im engern Sinne versteht Schel- ling das Vermögen, „uns aus dem Wechsel der Zeit in unser innerstes . . . Selbst zurückzuziehen und da unter der Form der Unwandelbarkeit das Ewige anzuschauen" (Phüos. Briefe über Dogmatismus u. Kritizismus, 1796, auch in den „Philos. Schriften", 1809). Sie ist der Punkt, wo das Wissen um das Ab- solute (s. d.) und das Absolute selbst eins ist; vermittelst ihrer schaut sich der Geist unmittelbar als das Objekt produzierend an, indem er produziert (Syst. d. transzendentalen Idealismus, S. 51). HEGEL verwirft diese int. A., spricht aber von einem Anschauen" und einem „anschauenden Verstand" (WW. III, 328 ff.). Gegen die Lehre von der int. A. erklärt sich u. a. SCHOPENHAUER, ohne sich allzuweit von ihr zu entfernen (vgl. Wille). E. H. SCHMITT unter int. A die Anschauung der Erkenntnisformen als kon- krete „Lebenswirklichkeiten unserer Innerlichkeit". Alle Denkformen sind „Anschauungsformen höherer Art", und so ist alle Wissenschaft in der Intuition begründet (Kritik d. Philosophie, 1908, S. 5 ff., 164 ff.). Eine gewisse Verwandt- schaft mit der int. A. hat die „Intuition" (s. d.) bei SPINOZA, BERGSON U. a. Vgl. Kontemplation, Erkenntnis, Mystik. sind Raum (s. d.) und Zeit (s. d.), sofern sie zunächst „Formen", d. h. Ordnungen, einheitliche Verbindungen (Synthesen) des anschaulich, wahrnehmbar gegebenen Erfahrungsmaterials, ursprüngliche, konstante, gleichartige, allgemeine und notwendige, gesetzüche Verknüpfungs- sind — der Raum für die Inhalte der äußeren, sinnlich vermittelten 3*
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Handwörterbuch der Philosophie
Titel
Handwörterbuch der Philosophie
Autor
Rudolf Eisler
Verlag
ERNST SIEGFRIED MITTLER UND SOHN
Ort
Berlin
Datum
1913
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
Abmessungen
12.7 x 21.4 cm
Seiten
807
Schlagwörter
Philosophie, Geisteswissenschaften, Objektivismus
Kategorie
Geisteswissenschaften
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