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84 Bedürfnis — Begehren.
Bedürfnis ist (objektiv, als „Erfordernis" oder „Bedarf") etwas, was ein
organisches Wesen (auch ein Gemeinwesen) zu seiner Erhaltung,
Funktion, Entwicklung braucht, nötig hat; subjektiv ist B. das eines
Mangels an etwas Erforderlichem verbunden mit dem Streben nach Aufhebung
dieses Mangels, mit einem Drängen nach Beseitigung des Störenden, der Un-
nach „Befriedigung" des Bedürfnisses. Es gibt körperliche und seelische
(geistige) Bedürfnisse, materiale (stoffliche) und funktionelle (oder
Bedürfnisse, d. h. B. nach Betätigung physischer oder psychischer Kräfte, über-
schüssiger Energien. Die psychischen Bedürfnisse sind funktioneller Art, sie
zerfallen in intellektuelle, emotionelle, volitionelle B. Es gibt ferner logische,
ethische, ästhetische, religiöse Bedürfnisse, ferner individuell-subjektive, allge-
meine, soziale, ökonomische B., natürliche und künstliche, ursprüngliche und
(durch Gewohnheit, Nachahmung) erworbene B. Das B. ist ein wichtiger bio-
logisch-psychologischer Faktor, es führt zu zielstrebigen Funktionen, zu aktiver
Anpassung (s. d.), zur Entwicklung (s. d.). Die
Differenzierung der Bedürfnisse ist — trotz aller ihrer Gefahren —
fördernd und selbst schon eine Wirkung der Kultur.
Definitionen des B. finden sich bei KANT , der von den Bedürfnissen der
Neigung die „Vernunftbedürfnisse" unterscheidet (vgl. Glaube) u. a. (vgl.
über Kraus, Das Bedürfnis, 1894). Die biologische Bedeutung des B. be-
tont dessen „Gesetz der teleologischen Mechanik" lautet: „Die Ur-
sache jeden Bedürfnisses eines lebendigen Wesens ist zugleich die Ursache der
Befriedigung des Bedürfnisses" (Die teleol. Mechanik d. Natur2, 1877); ähnlich
betrachten das B. als Ursache organischer Zweckmäßigkeit und Höherentwick-
lung und die „Psychovitalisten" (s. wie PAULY,
A. WAGNER U. a. Den Begriff der „gesellschaftlich notwendigen Bedürfnisse",
d. h. der „sozialevolutionistischen Erfordernisse" prägt R. GOLDSCHEID aus
(Entwicklungswerttheorie, 1908, S. ff.; vgl. Wert). Die
materialer und formaler oder Funktionsbedürfnisse begründet in der Gegenwart
besonders A. DÖRING (Philos. S. 74 ff.), W. JERUSALEM,
welcher betont, daß alle Grundfunktionen des Bewußtseins nach Betätigung
verlangen (die Sinne, die Phantasie, das Denken, das Fühlen, das Wollen;
intellektuelle und emotionelle B., Ausdrucksbedürfnis; Lehrbuch d. Psychol.4,
1907, S. 160 ff.). Die Beteiligung von Funktionsbedürfnissen am Ästhetischen
betonen mehr oder weniger ARISTOTELES, HOME, SULZER, SCHILLER,
SPENCER, H. V. STEIN, WUNDT, DÖRING, JERUSALEM
u. a. (vgl. Die Funktionsfreuden im ästhetischen Verhalten, 1911). Vgl.
L. BRENTANO, Versuch einer Theorie der Bedürfnisse, Sitzungsberichte der
Bayrischen d. Wissensch. 1908; GUREWITSCH, Archiv f.
Philos.; F. CUHEL, Zur Lehre von den Bedürfnissen, 1907. Vgl. Wert.
als Unabhängigkeit von Bedürfnissen, innere Frei-
heit (Xenophon, Memorabil. I, 6, 10), Stoiker
u. Vgl. Tugend.
ist die automatische (s d.) Ausführung von Be-
wegungen, welche der Hypnotisator verlangt (vgl. WUNDT, d. Psychol.5,
1900, S. 331). Vgl.
ist im weiteren Sinne identisch mit Streben (s. d.),
engeren Sinne ist es das Verlangen, Streben nach einem vorgestellten Objekt
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Handwörterbuch der Philosophie
- Titel
- Handwörterbuch der Philosophie
- Autor
- Rudolf Eisler
- Verlag
- ERNST SIEGFRIED MITTLER UND SOHN
- Ort
- Berlin
- Datum
- 1913
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- Abmessungen
- 12.7 x 21.4 cm
- Seiten
- 807
- Schlagwörter
- Philosophie, Geisteswissenschaften, Objektivismus
- Kategorie
- Geisteswissenschaften