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744 Wahrnehmung.
Prozeß des Erlebens, welches Wissen auch in einem Urteil zum Ausdruck
kommen kann. Der Gegenstand der unmittelbaren W., das Psychische, hat
unmittelbare Wirklichkeit, wird nicht als Erscheinung eines unbekannten
Seins wohl aber wird er durch das Denken bestimmt, gegliedert und
dann wieder verbunden, so daß die psychologische Realität, wie sie in Urteilen
gegeben ist, schon von gewissen Formen des Denkens (Kategorien) abhängig
ist, aber eben nur von jenen, welche zur einheitlich-gedanklichen Verknüpfung
des Materials unmittelbarer W. nötig sind (Einheit, Vielheit, Kausalität u.
aber nicht Substantialität im engeren Sinne u. dgl.). Bei aller Bedingtheit
des vom Erkennen, sofern es dessen Gegenstand wird, bleibt
es doch in seiner Qualität als Geistigkeit, als lebendiger Bewußtseinsprozeß
eine unmittelbare Wirklichkeit, ein „Selbstsein", „Fürsichsein" (s. Ich, Trans-
zendent, Bewußtsein, Ding an sich), im Unterschiede von den
bolisch bestimmten Relationen der Außendinge (s. Objekt). Daß die innere
W. im Einzelnen Irrtümern ausgesetzt ihre „Evidenz" nur auf das
Konstatieren von Erlebnissen schlechthin (ohne Deutung) sich beschränkt,
steht dem nicht entgegen, ebenso nicht die Bezogenheit aller
inhalte auf ein logisches „Bewußtsein überhaupt" (s. Subjekt).
Die innere W. wird in der älteren Philosophie teils mit dem Selbstbewußt-
sein (s. d.), teils mit dem Gemeinsinn (s. d.) ARISTOTELES (De
THOMAS (Contr. gent. II, 74) — meist aber mit dem „innern Sinn" (sensus
inferior"), zu dem nach manchen auch der Gemeinsinn gehört (THOMAS U. a.)
in Verbindung gebracht. So von AUGUSTINUS (De anima IV, 20; De libero
arbitrio I, 3 f.; II, 4; 23), WILHELM VON OCCAM (In 1. sentent. 3, 5); die
innere W. erfaßt die Zustände und Akte der Seele unmittelbar, nicht — wie
THOMAS U. a. — durch Reflexion (s. d.), indirekt.
Während öfter dem „innern Sinn" die Funktion der Vorstellung, Er-
innerung, Phantasie, Beurteilung u. dgl. zugeschrieben wird De
anima IV, 1; THOMAS, Sum. theol. I, 78, 4; MELANCHTHON, U.
wird er („internal sense") bei LOCKE zur W. als (s. d.) auf
die eigenen Tätigkeiten der Seele („the notice which the mind take of its
Operations"), die eine eigene Quelle der Erkenntnis (s. d.) ist (Essay concern.
hum. understand. II, K. 1, § 4). Nach LEIBNIZ ist der innere Sinn
interne") die Vereinigung der verschiedenen (Werke,
Gerhardt VI, 501); die innere W. hängt mit der „Apperzeption" (s. d.) zu-
sammen. Nach CHR. WOLFF erfaßt sich der Geist „sensu
rational. § 31).
bedeutsam wird der Begriff des „inneren Sinnes"
durch KANT. Außer den äußeren Sinnen gibt es ncch eine Art, durch „Re-
zeptivität" (s. d.) Vorstellungen zu empfangen, es ist dies die „Affektion"
Geistes durch sich selbst cder durchs „Gemüt", d. h. seinen eigenen Zustand
(Anthropol. I, § 13). Wir erkennen uns nicht so, wie unser Ich (s. d.),
(s. d.) oder Geist an sich ist, sondern wie dieser sich uns in der „Form"
die er durch das Erkennen erst annimmt. Diese Form ist die
form der Zeit (s. d.); alles, was wir von uns selbst erkennen, wird „in Ver-
hältnissen der Zeit vorgestellt". Die Zeit ist „die Form des innern Sinnes,.
d. i. des Anschauens unserer selbst und unseres innern Zustandes". Da nun
alles, was durch einen Sinn (d, h. rezeptiv) vorgestellt wird, Erscheinung d.)
ist, so wird das Subjekt durch denselben nur als Erscheinung
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Handwörterbuch der Philosophie
- Titel
- Handwörterbuch der Philosophie
- Autor
- Rudolf Eisler
- Verlag
- ERNST SIEGFRIED MITTLER UND SOHN
- Ort
- Berlin
- Datum
- 1913
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- Abmessungen
- 12.7 x 21.4 cm
- Seiten
- 807
- Schlagwörter
- Philosophie, Geisteswissenschaften, Objektivismus
- Kategorie
- Geisteswissenschaften