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Tafel X
• Phantastische Tierfiguren und Ungeheuer.
Zu dieser Gruppe von Wappenfiguren zählen wir
alle jene Tiere, die entweder in der Natur wirklich
vorhanden sind, aber in von ihrer natürlichen Gestalt
abweichenden Formen dargestellt werden, wie z. B. der
Panter, oder durch Zusammenschiebung zweier gleicher
oder auch verschiedener Geschöpfe entstanden sind,
oder endlich überhaupt nur der Phantasie ihre Existenz
verdanken, wie z. B. der Greif, der Drache u. s. w.
Fig. i. Doppeladler. Kaiserliches Wappen des
römisch-deutschen Reiches (D. 13*8 cm) als Vignette
auf dem Titelblatte der kaiserlichen Landgerichtsordnung
für Schwaben. Zweite Hälfte des XVI. Jahrhunderts.
Meister unbekannt.
Im gekrönten und gevierten, von der Collane des
goldenen Vliesses umzogenen Brustschilde des Adlers
erscheinen die Wappen von Alt-Ungarn, Böhmen, Oester-
reich und Alt-Burgund, sowie das abermals gevierte
Quartier mit Kastilien und Leon. Ueber den nimbier-
ten Köpfen des Adlers schwebt die Kaiserkrone.
Fig. 2. Doppeladler. Wappen der Stadt Wien
(Schildhöhe 6 • 5 cm) nach dem vom Kaiser Fried-
rich III. (IV.) zu Leoben am 26. September 1461 ver-
liehenen Wappenbriefe. In Schwarz ein nimbierter,
rotgezungter, goldener Doppeladler unter der goldenen
Kaiserkrone mit roten Kappen. 1463 verlieh der Kai-
ser, nachdem er zur Strafe den rebellierenden Wienern
das Wappen genommen hatte, dasselbe den ihm treu
gebliebenen Schwesterstädten Krems und Stein, die es
heute noch führen. 1465, nach erfolgter Versöhnung
des Kaisers mit den Wienern, führten diese auch wieder
den kaiserlichen Adler, aber belegt mit einem Brust-
schildchen, das in Rot ein silbernes Kreuz enthielt. Diese
Zuthat ist übrigens ein älteres Emblem der Wiener als der
Doppeladler und bereits
1346 auf der Brust des
damals noch einköpfigen
Wiener Adlers (s. Taf. IX,
3) nachzuweisen.
Nebenstehende Fig.
12 zeigt den russischen
Doppeladler auf der gol-
denen Bulle (zweiseitiges
Siegel aus Metall) des
Bündnisvertrages zwi-
schen dem Grossfürsten
und Gospodar Wassilij
Iwanowitsch (1505 bis
1533) und Kaiser Max I. vom Jahre 1514. (Original
im k. und k. Haus-, Hof- und Staatsarchive zu Wien.)
Der Doppeladler kommt sowohl im Oriente als
auch im Abendlande schon sehr frühzeitig vor und es
ist schwer zu entscheiden, welchem Himmelsstriche er
eigentlich seinen Ursprung verdankt. Seit ca. 1335
erscheint der Doppeladler sporadisch als Symbol des
römisch-deutschen Reiches, und wird unter Kaiser Si-
gismund (-|- 1447) zur bleibenden Wappenfigur des rö-
mischen Kaisertums, während der König, vor seiner
Krönung zum Kaiser, den einköpfigen Adler führte.
Fig. 3. Panter. Wappen der Steyermark. Flach-
relief aus Stein (H. 81 cm; Schild 8 mm, Figur 6 mm
erhaben) über der Turmvorhalle des St. Stephansdomes
zu Wien, ca. 1375.
Die Flammen schlagen bei allen Oeffnungen des
Leibes (Rachen, Nase und Ohren) heraus.
Die im Texte eingerückte Fig. 13 giebt eine Ab-
bildung des steyrischen Landeswappens (Schildhöhe =
8 cm) auf dem Titelblatte der Landhandveste von Steyer
aus dem Jahre 1523, gezeichnet von Hans Burgkmair.
Der Schild zeigt in Grün den rotbewehrten, flammen- speienden, silbernen Panter, ein Bild, das sich im
Schirmbrette des Spangenhelmes wiederholt.
Fig. 4. Panter. Wappen der Steyermark mit
einem Panter in älterer, derzeit wieder in Vordergrund
getretenen Darstellungsweise, gezeichnet vom Autor
des Atlasses.
Im Physiologus, einer Schrift in griechischer Sprache
aus frühchristlicher Zeit (ca. 140 n. Chr.), die im Laufe
der Zeit in alle Sprachen übersetzt wurde, begegnen
wir unter anderen Tieren und Ungeheuern mit fabel-
haften Eigenschaften auch dem Panter (Pantier, Pantel),
Felis panthera, dem ein buntgeflecktes Fell und ein
Fig. 13. Wappen der Steyermark von Hans Burgkmair.
wohlriechender, süsser Atem zugesprochen wird, der
andere Tiere verleitet, sich dem Panter zu nahen.
Nur der Drache zieht sich vor diesem Gerüche in seine
Höhle zurück. Der Panter gilt daher als Symbol Christi.
Die ersten Abbildungen dieses Tieres zeigen noch
eine der Natur halbwegs ähnliche Körperform, aber
sehr bald verschwindet die Aehnlichkeit und die Phan-
tasie der Künstler, verwandelt den Panter in ein ganz
fremdartiges, fabelhaftes Geschöpf. Den süssen Geruch
— »suozzen stanch« heisst es in der jüngeren, deut-
schen Uebersetzung des Physiologus — suchte man
durch aus dem Maule züngelnde Flammen zum Aus-
drucke zu bringen, doch scheint dies später nicht mehr
deutlich genug gewesen zu sein, denn im XVI. Jahr-
hundert brechen die Flammen aus allen Oeffnungen
des Panterleibes hervor.
Der Kopf ist in der alten Zeit dem Pferde ähn-
lich, hie und da gehörnt (Siegel des Grafen Heinrich
von Lechsgemünd, 1197), die vier Füsse sind gleich-
artig durchgebildet. In der zweiten Hälfte des XIV.
Fig. 12 Russischer Doppeladler. 1514.
Heraldischer Atlas
Eine Sammlung von heraldischen Musterblättern für Künstler, Gewerbetreibende, sowie für Freunde der Wappenkunde
- Titel
- Heraldischer Atlas
- Untertitel
- Eine Sammlung von heraldischen Musterblättern für Künstler, Gewerbetreibende, sowie für Freunde der Wappenkunde
- Autor
- H. G. Ströhl
- Verlag
- Julius Hoffmann
- Ort
- Stuttgart
- Datum
- 1899
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 22.6 x 33.6 cm
- Seiten
- 284
- Schlagwörter
- Heraldik, Heroldskunst, Wappenkunst
- Kategorie
- Lexika