Seite - 18 - in Österreich-Ungarns imperiale Herausforderungen - Nationalismen und Rivalitäten im Habsburgerreich um 1900
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ISBN Print: 9783847110606 – ISBN E-Lib: 9783737010603
WeltkriegmachensolcheFragennochbedeutsamer.BorislavChernevhatdiesen
Versuch zur Formierung und Betonung ethnischer Differenz anhand der
Ukraineuntersucht,woKulturgefälle undFremdheit als essentielleKategorien
zurDifferenzierung einer ukrainischen Identität unddamit auch einer ebenso
begründeten Staatlichkeit gegenüber PolenundRusslandAnwendung fanden.
WiedünnundgleichzeitigexplosivdieseBasiswar,zeigtderUmstand,dassdie
in Brest-Litowsk konzipierteOrdnung bereitsmit der im September 1918 be-
ginnenden Auflösung der militärischenMacht derMittelmächte zu Zerfallen
begannundeineukrainische Staatlichkeit nurnochüberdenUmwegderplu-
riethnischenbolschewistischen Ideologiewieder aktiviertwerdenkonnte.Der
UnterschiedvonkolonialenÜberlegenheitsgefühlenundModernisierungspro-
zessen beziehungsweise -diskursen war dabei oft nur gering, aber dennoch
solltendieUkraine,Albanien,MontenegroundBosnien-Herzegowinajeweilsals
Einzelfälle innerhalb eines Imperiums betrachtet werden, das sich der ,Herr-
schaft derDifferenz‘ bediente.Auchdas zeigt die vielenGesichterderDoppel-
monarchieunddienachwievorgroßenForschungsdesiderate.
Bei all demsollte allerdingsderErsteWeltkrieg alsEndpunktdesHabsbur-
gerreichs nicht überbewertet werden, denn aus nationaler Perspektive war er
zwareineZäsur,abervorallemeinKatalysator,derverschiedeneEvidenzendes
späten19.und frühen20. Jahrhundertsverdichtete.DieFragenachNationalis-
menundnationalen Identitäten stellt sich deshalbweiterhin. Für dieDoppel-
monarchie lässt sich derWissenschaftsdiskurs der letzten Jahre dahingehend
zusammenfassen,dassdie IdentitätendereinzelnenethnischenGruppenmeist
konstruiert, flüssig undpluralistischwaren.Damit einhergehend ist jedochzu
konstatieren, dass der Begriff ,Identität‘ anTrennschärfe verliert, entweder zu
viel oder zuwenig–oder sogarüberhauptnichtsmehrbedeutet.28 InderDop-
pelmonarchie lag das auch daran, dass die Nationalbewegungen oft deutlich
weniger Einfluss auf das Alltagsleben ausübten, als das die ältere Forschung
behauptethatte;stattdessenbeschränktesichihrWirkungskreisvielfachaufdas
Zelebrieren von Gedenktagen und heroischen Ahnherren.29 Mindestens hier
wird deutlich, wie sehr Politik auch Performanz war – aber das gilt für die
Nationalbewegungengenausowie fürdie Imperialisten.30
AufdasKonzeptder,Identität‘ solltedennochnichtverzichtetwerden,denn
hinterdemBegriff steckt vielmehrals beispielsweisediediskursiveKonstruk-
tion von Selbst- und Fremdwahrnehmung, Selbstverständnis oder Selbstbild.
GeradewegendieserMultiperspektivität kannes aber gar nicht darumgehen,
28 Cooper,Kolonialismusdenken(wieAnm.7), S. 109.
29 TaraZahra, ImaginedNoncommunities.NationalIndifferenceasaCategoryofAnalysis, in:
SlavicReview69/1 (2010), S. 93–119.
30 Judson,TheHabsburgEmpire (wieAnm.9), S. 338f.
BernhardBachinger /WolframDornik
/StephanLehnstaedt18
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Österreich-Ungarns imperiale Herausforderungen
Nationalismen und Rivalitäten im Habsburgerreich um 1900
- Titel
- Österreich-Ungarns imperiale Herausforderungen
- Untertitel
- Nationalismen und Rivalitäten im Habsburgerreich um 1900
- Autoren
- Wolfram Dornik
- Bernhard Bachinger
- Stephan Lehnstaedt
- Verlag
- V&R unipress GmbH
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1060-3
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- KUK, K.U.K, Habsburg, Monarchie, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918