Seite - 19 - in Österreich-Ungarns imperiale Herausforderungen - Nationalismen und Rivalitäten im Habsburgerreich um 1900
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ISBN Print: 9783847110606 – ISBN E-Lib: 9783737010603
einemöglichstengeAuslegungvon,Identität‘vorzunehmen.Stattdessensollten
auch die zeitgenössischen Inhomogenitäten und retrospektive Korrekturen
herausgearbeitetwerden, die verschiedeneZugriffe auf oft nachträglichkonzi-
pierteKlitterungenundAuslassungenerlauben.AufdieseWeisebleibtderBe-
griff eng verwandtmit seinemAlltagsverständnis und vermeidet Konstrukti-
vismus.DerNachteil istfreilich,dassdamitdieGrenzezwischeneinerKategorie
derAnalyseundderPraxisverschwimmt.31
Aberdie jeweiligenZugehörigkeiten sowie die damit verbundenen sozialen
Rollen bilden letztlich immer dasOrientierungs- undNormgefüge sowohl für
EinzelnealsauchfürGruppen.DamitsicheinebloßeGruppenmitgliedschaft in
einekollektiveIdentitätverwandelt, sindErzählungenundSymbolenotwendig,
die IdentifikationundKategorisierung erlauben. Letzteres bedeutet eineKlas-
sifizierung anderer innerhalb eines Systems und geht einher mit einem Per-
spektivenwechsel vomIchzumWir, vomEigenenzumFremden. SozialeKate-
gorisierung entspringt dem Streben nach einem Zugehörigkeitsgefühl und
einempositivenSelbstbild.SozialeIdentifikationheißt,die jeweiligeGruppeals
eine gewisse Erweiterung des eigenen Ichs zu sehen, woraus eine veränderte
Selbstdefinition resultiert mit der Folge, dass die Individuen an die Gruppe
gebundenwerdenundihreCharakteristikasowieQualitätenannehmen.32Durch
TeilnahmeundTeilhabesowiedieAnerkennungderanderenMitgliedergewinnt
das Individuum an Selbstwert, wobei ,Prestigegruppen‘ mit einem höheren
Selbstbewusstsein einhergehen als – notwendigerweise – stigmatisierte Grup-
pen,33was regelmäßig die Freund-Feind-Verhältnisse inKriegen aber auch in
konfliktträchtigen Auseinandersetzungen in Friedenszeiten charakterisiert.
Nationalitätenpolitik bildet die praktische Anwendung dieser theoretischen
Beobachtungenab:SiemöchteMenschenineineGruppeeinfügenundversucht
deshalb, deren Selbstdefinition zu beeinflussen, wobei sie üblicherweise den
,Wert‘deseigenenVerbandsbetontunddenandererherabsetzt.
AngesichtsdervielenNationalbewegungenimHabsburgerreichistdieFrage
zu stellen,werdenndieDoppelmonarchie tatsächlich trugundwelchePartizi-
pationsmöglichkeitendieeinzelnenEthniendesVielvölkerstaatshatten.Sowar
gerade die Außenpolitik inweiten Teilen abgekoppelt von der Innenpolitik –
letztere fand in den Reichshälften und insbesondere in Cisleithanien bis zu
einemgewissenGradauchindenKronländernstatt.VomWienerKaiserhofaus
warIntegrationspolitikinsofernetwasselbstverständliches,weiles letztlichegal
war,welcherEthnieoderNationalität sicheinUntertanzugehörig fühlte.Franz
Joseph kaufte etwa bei deutschsprachigen, inWien gut vernetztenMalern ge-
31 Cooper,Kolonialismusdenken(wieAnm.7), S. 125f.
32 DonelsonF.Forsyth,GroupDynamics,Belmont 42006,S. 90.
33 Forsyth,GroupDynamics (wieAnm.32), S. 94.
Einleitung:Österreich-Ungarns imperialeHerausforderungen 19
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Österreich-Ungarns imperiale Herausforderungen
Nationalismen und Rivalitäten im Habsburgerreich um 1900
- Titel
- Österreich-Ungarns imperiale Herausforderungen
- Untertitel
- Nationalismen und Rivalitäten im Habsburgerreich um 1900
- Autoren
- Wolfram Dornik
- Bernhard Bachinger
- Stephan Lehnstaedt
- Verlag
- V&R unipress GmbH
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1060-3
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- KUK, K.U.K, Habsburg, Monarchie, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918