Seite - 27 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band LIX
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Erst in den siebziger Jahren des 20.
Jahrhun-derts
hat das Fach Kunstgeschichte begon-
nen, sich nicht nur mit der Herstellung von
Bildern, sondern ernsthaft auch mit ihrer Zer-
störung auseinanderzusetzen. Den Ausschlag gab
die von der 68er-Generation eingeleitete Wende
weg von einer elitären Geschichte der schönen
Künste hin zu einem Verständnis von Kunst
als einem sozialen Phänomen und historischen
Agenten.1 Dabei hat sich die Aufmerksamkeit
von Anfang an auf den reformatorischen Bilder-
sturm in Deutschland und vor allem auch auf
den zweiten Bildersturm in den Niederlanden
konzentriert, die nach dem kunsthistorischen
Epochenschema in die Renaissance und den
Manierismus fallen. Gleichzeitig wurde das Kon-
zept eines modernen Ikonoklasmus eingeführt,2
und in der Folge begannen die Kunsthistoriker,
sich auch für den byzantinischen Ikonoklasmus
zu interessieren. Obwohl ihm das Themenfeld
den Namen verdankt, hatte ihm bis dahin nur
das Fach Byzantinistik Beachtung geschenkt. Da
die Quellenbasis hier aus griechischsprachigen
Texten besteht, werden byzantinischer und west- licher Bildersturm nur ausnahmsweise gemein-
sam untersucht oder miteinander verglichen.
Und eine ähnliche Spaltung ist auf der Zeitachse
zu beobachten: Obwohl niemand, der über das
Thema Bildersturm in der frühneuzeitlichen
und modernen Kultur schreibt, den Hinweis
auf die mittelalterlichen Erscheinungsformen
von Ikonoklasmus unterläßt, bleibt es bei der
Verwendung unterschiedlicher methodischer
Werkzeuge, und ist die Frage nach einem inne-
ren, eventuell strukturellen Zusammenhang eher
unüblich.
So überrascht es kaum, daß auch der Bilder-
sturm der böhmischen Hussiten im 15. Jahr-
hundert nicht in den Fokus der Ikonoklasmus-
Forschung getreten ist.3 Die letzte größere
Veröffentlichung zum Thema Ikonoklasmus war
der Begleitband zur Ausstellung Bildersturm:
Wahnsinn, oder Gottes Wille? (Bern 2000). Dem
Hussitentum war dabei ein einziger, wenn auch
ausführlicher, Katalogeintrag gewidmet.4 Dort
hat Sergiusz Michalski den aktuellen Kenntnis-
stand zum hussitischen Ikonoklasmus umsichtig
zusammengefaßt – im Einklang auch mit dem
DER BILDERSTURM DER BÖHMISCHEN HUSSITEN
EIN NEUER BLICK AUF EINE
RADIKALE MITTELALTERLICHE GESTE
Milena Bartlová
1 In den Anmerkungen zitiere ich nur die wichtigste Literatur und dabei vorrangig neuere Veröffentlichungen mit
Verweisen auf weiterführende Literatur sowie Veröffentlichungen in international verständlichen Sprachen. – Für
eine anregende Diskussion zur Terminologie im Studium des Hussitismus danke ich Pavlína Rychterová und Pavel
Soukup. – Für sprachliche Korrekturen danke ich herzlich Michael Viktor Schwarz.
2 D. Gamboni, The Destruction of Art. Iconoclasm and Vandalism since the French Revolution, London 1997.
3 Die letzte Studie zu diesem Thema faßt einen Jahrzehnte alten Erkenntnisstand zusammen, s. J. Royt, Kirchenre-
form und Hussiten, in: J. Fajt (Hrsg.), Karl IV. Der Kaiser von Gottes Gnaden. Kunst und Repräsentation unter
den Luxemburgern 1347–1437, Ausstellungskatalog, Prag, Prager Burg, 15.02.2006–21.5.2006, Berlin 2006, S. 554–
569. Vgl. auch J. Royt, Hussiten und ihre Verhältnis zur Kunst, in: F. Seibt (Hrsg.), Jan Hus – Zwischen Zeiten,
Völkern, Konfessionen, München 1997.
4 C. Dupeux/P. Jezler/J. Wirth (Hrsg.), Bildersturm: Wahnsinn, oder Gottes Wille?, Zürich 2000, S. 287.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur