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der Bildersturm der böhmischen hussiten 43
eigent lichen Geschehen ein. Wir können auch
von einer „rückwirkenden Theologisierung“ der
pragmatischen Aktionen sprechen, vergleichbar
dem von Jaś Elsner identifizierten Prozeß, durch
den die Donatisten, Nestorianer und Monophy-
siten zu Häretikern konstruiert wurden.48 Zu
einzelnen Attacken auf Kunstwerke in Kirchen
kam es auch andernorts, z.B. 1443 in Horgen
im Kanton Zürich.49 Dieser Vorgang und man-
cher andere mag bereits von den Berichten über
die Hussiten beeinflußt sein und kann wohl der
Kategorie eines „Angriffs auf die loci communi-
tatis der Feinde“ zugeordnet werden, in diesem
Fall eines Angriffs auf die der feindlichen Nach-
bargemeinde. Eben weil der Ikonoklasmus zur
neuen Ordnung wurde – obwohl, wie wir sehen
werden, keineswegs einer dauerhaften und all-
gemein angenommenen Ordnung –, bildet der
hussitische Ikonoklasmus den ersten Fall eines
Ikonoklasmus im Sinn von Reformation.
Die vorgeschlagene Interpretation ermög-
licht es, leichter zu verstehen, wieso der Ikono-
klasmus in Wirklichkeit zu keinem dauerhaften
Bestandteil des Hussitismus wurde. Es wäre
nämlich falsch, wenn man sich den Prozeß der
Durchsetzung der Bilderfeindschaft als einen
totalitären Eingriff vorstellen würde – ein solcher
war in den vormodernen Gesellschaften einfach
nicht möglich. Die dauernde Übernahme lite-
rarischer Topoi und die ständige Referenz auf
geistige Autoritäten, wie sie den mittelalterlichen
Argumentationsmodus kennzeichnen, verstellen
leicht den Blick auf die Polyvalenz, Zweideutig-
keit, ja sogar Freiheit der gesellschaftlichen Pra-
xis. Daß die Kirchen in der chiliastischen Phase
von Bildern völlig entleert waren und daß man diese Maßnahme rückwirkend als einen berech-
tigten reformatorischen Eingriff legitimierte,
heißt nicht, der Widerstand gegen die religiösen
Bilder müsse einmütig gewesen und mit Über-
zeugung von allen Anhängern des Hussitentums
getragen worden sein. Besonders krude und irre-
führend ist die Vorstellung, die Hussiten wären
Widersacher der bildenden Kunst als solcher
gewesen – ein Gedanke, den bereits das Fehlen
des Konzepts „Kunst“ in seiner modernen Aus-
prägung als falsch erweist. Schon in den zwan-
ziger Jahren des 15. Jahrhunderts, also noch vor
dem Ende des hussitischen „Bürgerkriegs“,
entstanden wahrscheinlich in Prag illuminier-
te Handschriften.50 Es handelte sich meist um
tschechische Bibelübersetzungen, also Bücher,
die den Anhängern der Reformation nützlich
und die gleichzeitig so dekoriert waren, daß sie
als Kunstobjekte und Statussymbole fungierten
und auf diese Weise halfen, die neuen Eliten in
eine siegreiche Kontinuität mit den vorrevolutio-
nären zu stellen.
Übrigens war eine dauerhafte Durchsetzung
der neuen Ordnung im Rahmen der bisheri-
gen mittelalterlichen Kultur überhaupt nicht
möglich. So war das Resultat der radikalen iko-
noklastischen Phase auch nicht, daß in der
Folgezeit das visuelle Bild als solches abgelehnt
wurde. Der Hussitismus konnte das Bild nicht
aufgeben, weil er als Reformation vor dem Buch-
druck über kein anderes Kommunikationsme-
dium mit denselben erprobten Eigenschaften
verfügte. Obwohl im historischen Gedächtnis
der radikale chiliastische bzw. millenaristische
Charakter der Anfangsphase der Revolution am
tiefsten verankert ist, war der Hussitismus eine
48 J. Elsner, Between Mimesis and Divine Power: Visuality in Greco-Roman World, in: R. Nelson (Hrsg.), Visual-
ity Before and Beyond Renaissance: Seeing as Others Saw (Cambridge Studies in New Art History and Criticism),
Cambridge 2000, S. 45–69.
49 G. P. Marchal, Das vieldeutige Heiligenbild. Bildersturm im Mittelalter, in: Blickle/Holenstein/Schmidt/
Sladeczek, Macht und Ohnmacht der Bilder (zit. Anm. 41), S. 307–333.
50 K. Stejskal/P. Voit, Iluminované rukopisy doby husitské, Praha 1990; R. Suckale, Die Buchmalerwerkstatt des Pra-
ger Examerons: ein Beitrag zur Kenntnis der Prager Buchmalerei um 1400–1440, in: Umění 38, 1990, S. 401–418; K.
Stejskal, Die Prager Buchmalerei der Hussitenzeit und ihre Beziehungen zu Mähren, in: Umění 40, 1992, S. 334–343.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur