Seite - 46 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band LIX
Bild der Seite - 46 -
Text der Seite - 46 -
Milena
bartlová46
mit jenen Mitteln, auf die auch die traditionelle
Kirche zurückgriff, also durch den liturgischen
Kult und die dazugehörigen Bilder. Die Ent-
faltung einer spezifischen hussitischen Ikono-
graphie war unvermeidlich. Diese umfaßte auch
eine spezielle Ikonographie, welche der authen-
tischen hussitischen Position in Bezug auf das
öffentliche politische Leben Ausdruck verlieh.53
Der früheste Beleg für die Existenz eines Retabels
mit zweifelsfrei ultraquistischer Ikonographie ist
ein Bericht über ein Legat an einen nicht erhalte-
nen Altar in der Kleinseitner Nikolauskriche von
1434.54 Eine klare Vorstellung von der visuellen
Kultur der böhmischen Hussiten zu gewinnen,
ist allerdings schwierig, da die weit überwiegen-
de Mehrheit der relevanten Werke ein Opfer
der Rekatholisierung im 17. Jahrhundert wurde.
Aber bereits ein Jahrhundert davor traten die
Reformer lutherischen und vor allem kalvinisti-
schen Bekenntnisses als Gegner der utraquisti-
schen Bilder auf.
Das Erbe des Bildersturms war in der böhmi-
schen urtraquistischen Kirche ein Imperativ, der
jedwede Bilderverehrung verbot. Effigiem Christi,
dum transis, semper honora / Non tamen effigiem,
sed quem designat, adora – dieses Zitat nach den
bekannten Versen des Wilhelm Durandus, wel-
che Anweisung gaben, die Verehrung vom Bild
auf seinen Prototyp zu übertragen, war z.B. auf
dem Balken zu lesen, auf dem der Kalvarienberg
im Veitsdom ruhte.55 Diese Figurengruppe hatte
wahrscheinlich Sigismund von Luxemburg oder, während Sigismunds kurzer faktischer Herrschaft
in Böhmen, das Domkapitel aufstellen lassen.
Vermutlich ähnelte sie dem bekannten Kalva-
rienberg in der Teynkirche.56 Mit eigenen Wor-
ten formuliert fand sich die Forderung in den
Durchführungsvereinbarungen zu den Kompak-
taten wieder, welche die Repräsentanten der poli-
tischen und kirchlichen Macht in Böhmen mit
dem Basler Konzil 1436 schlossen.57 Zentrum der
Verehrung sollte immer einzig und allein Jesus
Christus sein – anwesend nicht im Bild, sondern
in der Eucharistie. So wurde zum spezifischen
utraquistischen Retabeltyp einer, in dessen Zen-
trum sich eine leere Stelle für die Monstranz mit
dem eucharistischen Brot befand.58 Ein anderes
Erbe aus der bilderstürmerischen Frühphase
des Hussitentums war die latente Möglichkeit
destruktiver Handlungen gegen Bilder. Sol-
che wurden im 15. Jahrhundert hin und wieder
von Einzelnen unternommen. Als Bekenntnis
zu einer hussitischen Identität stand aber nach
wie vor auch die Geste eines regelrechten Bil-
dersturms zur Verfügung. In großem Maßstab
wurde bilderstürmerisches Handeln jedoch nur
einmal aktualisiert, und zwar bei der kurzen
Revolte der radikalen Utraquisten in Prag 1483.59
Auch damals wurden freilich nur die Bilder in
den beiden streng Rom-hörigen Prager Klöstern,
St. Jakob und St. Ambrosius, angegriffen und
zerstört. 1484 griff Wenzel Koranda der Jüngere
in seinem Traktat De imaginibus eine bilderfeind-
liche Argumentation als Identifikationsmerkmal
53 Vgl. dazu M. Bartlová, Ikonografie kalicha, symbolu husitství. In: Jan Hus na přelomu tisíciletí. Husitský Tábor
– Supplementum 1. Tábor 2001, S. 453–488; Dies., The Divine Law Incarnated in the Man of Sorrows. Specific
Iconography of the Hussite Bohemia, in: Iconographica IV, 2005, 100–110; Dies., Upálení sv. Jana Husa (zit. Anm.
52). Eine Übersicht zum früheren Erkenntnisstand bietet J. Royt, Utrakvistická ikonografie v Čechách 15. a první
poloviny 16. století, in: D. Prix (Hrsg.), Pro arte. Sborník k poctě Ivo Hlobila, Praha 2002, S. 193–202.
54 V. V. Tomek, Dějiny města Prahy, VIII. Praha 1891, S. 27.
55 M. Šroněk (Hrsg.), Vincenc Kramář: Zpustošení chrámu sv. Víta v roce 1619, Praha 1998, S. 130.
56 M. Bartlová, Sigismundus Rex Bohemiae: Royal Representation after the Revolution, in: J. Fajt/A. Langer
(Hrsg.), Kunst als Herrschaftsinstrument. Böhmen und das Heilige Römische Reich unter den Luxemburger im
europäischen Kontext, Berlin/München 2009, S. 396–408.
57 Archiv český, 3, Praha 1844, S. 453–455.
58 Royt, Utrakvistická ikonografie (zit. Anm. 53).
59 F. Šmahel, Pražské povstání 1483, in: Pražský sborník historický XX, 1986, S. 35–102.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur