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Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band LIX
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der Bildersturm der böhmischen hussiten 47 und Bekenntnis zu den Gründungsidealen des Hussitentums auf.60 Einige Kirchen der Prager Altstadt, die Beth- lehemkapelle und die Michaeliskirche (über andere sind wir nicht informiert), zeigten eine ungewöhnliche Wanddekoration aus lateinischen Inschriften, bezeichnet als tabula oder cortina. Die Texte dafür lieferten die lateinischen Trakta- te von Johannes Huß und Jakobs von Mies. In Form von Zitaten nach Autoritäten argumentier- ten die Inschriften gegen die verdorbene Kirche und warben für die utraquistische Eucharistie, die auch für Kleinkinder bestimmt war.61 Nicht nur verstanden die meisten Besucher dieser Räume kein Latein, auch die Gebildeten wer- den Schwierigkeiten gehabt haben, die Schrif- ten an den Wänden, wie wir sie zumindest aus der Bethlehemskapelle konkret kennen, abzu- lesen. Ich schließe daraus, daß diese Inschriften als visuelle Zeichen auftraten, die nicht für eine Aktualisierung durch Sprache bestimmt waren. Als solche können sie die Autorität des Gelehrten repräsentiert haben – im Gegensatz zur Auto- rität der traditionellen Kirche, die von den Bil- dern verkörpert wurde.62 Als im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts die Inschriften angefertigt wurden, gehörten übrigens die Gemeinden der beiden genannten Kirchen zum radikalen Zweig des Hussitentums. Das Fehlen des Buchdrucks in den formativen Jahren des Hussitentums hat- te unter anderem zur Folge, daß die hussitische Theologie kein sola scriptura-Dogma kannte. Daher können die Inschriften, die an die Stelle von Wandbildern traten, keineswegs so interpre- tiert werden, wie wir die Inschriften verstehen, welche in der lutherischen oder calvinistischen Reformation die Bilder ersetzen oder zumindest ergänzen. Wollten wir abschließend dem Hussitismus eine fixe Position in einer Systematik der Ikono- klasmen zuweisen, so würde sich herausstel- len, daß es nicht wirklich möglich ist. Martin Warnke unterscheidet zwischen einem Ikono- klasmus von oben, bei dem neue Symbole die zerstörten alten ersetzen, und einem Ikonoklas- mus von unten, dessen Ursache politische Ohn- macht ist, eine Situation, welche keine neuen eigenen Symbole hervorbringt.63 Demgegenüber hat Bruno Latour drei Kategorien vorgeschlagen: Da ist zum einen der Bildersturm, der die Bilder in ihrer Funktion als Mittler zwischen der geisti- gen Welt und den Menschen gänzlich abschaffen will (und damit den Anspruch auf einen unmit- telbaren Zugang zum Geistigen erhebt, wie es ihn in der christlichen Mystik der mittelalterli- chen lateinischen Kirche gab), sodann der Bil- dersturm, der traditionelle, ihrer Legitimität aber verlustig gegangene Bilder zerstören und an ihre Stelle neue und wahre Bilder setzen will, und da ist drittens ein Bildersturm, der es lediglich auf die Bilder des Feindes abgesehen hat.64 Wenn auch nicht zeitgleich auftretend, stellen wir im Hussitismus Merkmale aller fünf Kategorien fest. Das Zentrum des Bildersturm-Diskurses des Hussitentums war nämlich nicht der Wille Bilder (und schon gar nicht Kunstobjekte) zu zerstören, sondern hinter dem Konflikt stand die Frage nach der Legitimität der Darstellung Jesu 60 N. Rejchrtová, Obrazoborecké tedence utrakvistické mentality jagellonského období a jejich dosah, in: Husitský Tábor 8, 1985, S. 59–68. 61 F. Šmahel, Das Lesen der unlesbaren Inschriften: Männer mit Zeigestäben, in: A. Adamska/M. Mostert (Hrsg.), The Development of Literate Mentalities in East Central Europe, Turnhout 2004, S. 453–468. Im Zusammenhang der Wanddekoration in den Kirchen habe ich mich in meinem Beitrag zur Konferenz “Imaging Dogma, Picturing Belief: Wall Paintings in Medieval Parish Churches”, Courtauld Research Forum (London, November 2009) einge- hender mit diesen Inschriften beschäftigt. 62 Vgl. H. Belting, Macht und Ohnmacht der Bilder, in: Blickle/Holenstein/Schmidt/Sladeczek, Macht und Ohnmacht der Bilder (zit. Anm. 41), S. 11–32. 63 M. Warnke (Hrsg.), Bildersturm: die Zerstörung des Kunstwerkes, Frankfurt 1977, S. 11. 64 Latour, What is Iconoclash (zit. Anm. 13); vgl. auch Gamboni, The Destruction of Art (zit. Anm. 2), S. 22–25.
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Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band
LIX
Herausgeber
Bundesdenkmalamt Wien
Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch, englisch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78674-0
Abmessungen
19.0 x 26.2 cm
Seiten
280
Schlagwörter
research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
Kategorie
Kunst und Kultur
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