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Auch wenn es der Baumstamm ist, der am
Anfang von Leon Battista Albertis Traktat
De statua das Paradigma für eine Bildhauerkunst
abgibt, die mit dem Abtragen von Material arbei-
tet, die Tonerde hingegen als Paradigma für die
Praxis dreidimensionaler Darstellung durch Hin-
zufügen genannt wird,1 ist festzuhalten, daß die
Technik des Abtragens von Material in der Holz-
skulptur weniger ausschließlich angewandt wird
als in der Steinskulptur. Dies ist zum einen auf
die Technik der Assemblage zurückzuführen, die
beim Figurenaufbau in Holz ihre Vorteile hat,
zum anderen auf die Möglichkeiten der plasti-
schen Ausarbeitung der Oberfläche durch die
Grundierung, die als Basis für den Farbauftrag
oder als abschließende Modelliermasse Verwen-
dung findet. Doch sind dies nicht die einzigen
Gründe, durch die sich die Arbeitstechnik in
Holz grundlegend von der in Stein unterschei-
det; hinzu kommen die Differenzen in der natür-
lichen Beschaffenheit der beiden Materialien.
Während Holz anisotrope Eigenschaften auf-
weist und es damit auf das Schnitzinstrument
anders reagiert, je nachdem an welchem Teil des Stamms man es ansetzt, ist der Stein durch Iso-
tropie gekennzeichnet, die unabhängig von der
Annäherungsweise an den Block eine identische
Form des Behauens gestattet. Bei der Arbeit mit
Holz und vor allem dort, wo es um vorspringen-
de Teile geht, bietet es sich daneben an, das end-
gültige Figurenvolumen durch das Zusammen-
fügen von mehreren Elementen zu erreichen.
Dieses Vorgehen limitiert auch die Probleme der
Verformung, die durch hygroskopische Einflüsse
auftreten können.2
Im 15. wie im 16. Jahrhundert gibt es nicht
wenige Beispiele für Bildhauer, die erfolgreich
beide Materialien einsetzen. In einigen Fäl-
len handelt es sich um Vertreter einer großen
Tradition des Holzhandwerks, wie Benedetto
da Maiano, in anderen um solche, die wie
Donatello im Lauf ihrer Karriere nur sporadisch
Holz als Werkstoff wählten. Bei einer auch nur
summarischen Rekonstruktion der von den letzt-
genannten Künstlern (etwa Donatello) gewähl-
ten Ausführungsweise ist zu erkennen, daß ihr
Arbeitsprozeß – formal, arbeitsökonomisch und
in Hinblick auf die konservatorische Stabilität
ÜBERLEGUNGEN ZU MICHELANGELO
ALS HOLZBILDHAUER
Giovan Battista Fidanza
Für die wertvolle Zusammenarbeit danke ich vor allem Professor Francesco Caglioti von der Università Federico II
in Neapel und Professor Marco Fioravanti, Holztechnologe an der Universität Florenz. Bedanken möchte ich mich
daneben bei der Restauratorin Celeste Cardinali, Autorin der graphischen Rekonstruktion der Blockverleimung des
Kruzifix aus Santo Spirito.
1 Artes eorum, qui ex corporibus a natura procreatis effigies et simulacra suum in opus promere aggrediuntur, ortas hinc
fuisse arbitror. Nam ex trunco glebave et huiusmodi mutis corporibus fortassis aliquando intuebantur lineamenta non-
nulla, quibis paululum immutatis persimile quidpiam veris naturae vultibus redderetur, Leon Battista Alberti, De
statua, M. Collareta (Hrsg.), Livorno 1998, S. 4.
2 Eine Aufteilung der Masse der Statue durch die Verwendung mehrerer miteinander verbundener Elemente begrenzt
die spezifische Eigenschaft des Holzes, durch Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen zu schwinden oder zu
quellen.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur