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DIE VERSUCHUNGEN DER JUGEND 75
also in die gleiche Richtung wie im Pitti-Fresko
erfolgt.23
Das Deckenbild Pietro da Cortonas wird er-
gänzt um Lünettenfresken, in denen historische
Exempla (männlicher) Enthaltsamkeit in Lie-
besdingen vorgeführt sind. Auch hier wurden
erklärende Texte beigefügt, was schon wegen
der geringen Bekanntheit einiger dieser Themen
nötig gewesen sein dürfte, und nicht zuletzt des-
halb, weil der Maler gelegentlich ein ihm ver-
trautes Bildschema in neuen Kontexten verwen-
dete, etwa die biblische Episode von Joseph und
Potiphars Frau für die Geschichte der Enthalt-
samkeit des Crispus gegenüber der Fausta, Ehe-
frau Kaiser Konstantins.24 Innerhalb der ebenfalls
von Cortona entworfenen, außerordentlich rei-
chen architektonischen Gestaltung der Wölbung
sind ellipsoide Stuckreliefs angebracht, die Por-
träts historischer (männlicher25) Protagonisten
des Hauses Medici enthalten, außerdem ein Bild
des regierenden Großherzogs Ferdinando II. mit
seinem Sohn Cosimo (Abb. 8).
Stephen Campbell hat Pieter Perrets „Ver-
suchungen der Jugend“ als Ausgangspunkt des
Deckengemäldes von Pietro da Cortona be-
nannt26, und Wolfer Bulst verwies auf die Ähn-
lichkeit der ersten Vorstudien des Künstlers mit
Rubens’ Darstellung des Ferdinando d’Austria als Herkules aus der so genannten „Pompa In-
troitus Ferdinandi“ in Antwerpen 1635, die Cor-
tona wohl im 1642 datierten Stich von Theodor
van Thulden bekannt wurde.27 Wie man sich in
dieser Frage auch entscheidet (wahrscheinlich
hat Cortona beide Kompositionen gekannt), es
8: Pietro da Cortona, Ferdinando II. de’ Medici mit seinem
Sohn und Nachfolger Cosimo, Stuckrelief, Sala di Venere,
Palazzo Pitti, Florenz
23 Zur „Venus und Adonis“-Paraphrase von Rubens (Hauptfassung heute im Metropolitan Museum of Art, New
York) vgl. R. Baumstark, „El nuevo Ticiano“: Tizian im Spätwerk von Rubens, in: Bayerischen Staatsgemälde-
sammlungen (Hrsg.), Vorbild und Neuerfindung. Rubens im Wettstreit mit Alten Meistern, Ausstellungskatalog,
München, Alte Pinakothek, 23.10.2009–07.02.2010, München/Ostfildern 2009, S. 83–115, hier S. 110. Nicht aus-
schließen möchte ich, daß Pietro da Cortona auch Details einer Darstellung der umgekehrten Situation, also den
Aufbruch einer Frau und den auf dem Lager zurückbleibenden Mann, verarbeitet hat, nämlich Guercinos „Aurora
und Tithonos“ (1621) an der Decke des Casino Ludovisi in Rom (vgl. zu diesem Werk E. Oy-Marra, Profane Re-
präsentationskunst in Rom von Clemens VIII. Aldobrandini bis Alexander VII. Chigi. Studien zur Funktion und
Semantik römischer Deckenfresken im höfischen Kontext, München/Berlin 2005, S. 137–147).
24 Campbell, Pietro da Cortona (zit. Anm. 20), Abb. 37.
25 Der Verzicht auf die Darstellung von Exponenten weiblicher Macht (in Verbindung mit der eindeutigen Botschaft
des Deckengemäldes) ist umso bemerkenswerter, als mit Christine von Lothringen (1565–1637) lange Jahre eine Frau
die faktische Herrschaft über die Toskana innehatte.
26 Campbell, Pietro da Cortona (zit. Anm. 20), S. 98.
27 W. Bulst, Sic itur ad astra. L’iconografia degli affreschi di Pietro da Cortona a Palazzo Pitti, in: A. Fara/D.
Heikamp (Hrsg.), Palazzo Pitti. La reggia rivelata, Ausstellungskatalog, Florenz, Palazzo Pitti, 07.12.2009–
09.01.2005, Florenz 2003, S. 240–265, hier S. 251–252.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur