Seite - 77 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band LIX
Bild der Seite - 77 -
Text der Seite - 77 -
DIE VERSUCHUNGEN DER JUGEND 77
„Versuchung des heiligen Antonius“ Inspiration
gesucht haben, in denen schon längst der Kampf
von Allegorien verschiedener negativer Quali-
täten um die umzingelte Hauptfigur und eine
göttliche Intervention für diese Figur ins Bild
gesetzt worden waren, etwa in dem Gemälde von
Jacopo Tintoretto für S. Trovaso in Venedig, das
Agostino Carracci 1582 reproduziert hatte (Abb.
10).33 Solche Überlegungen zu den Quellen einer
in ihren Formen durchaus ungewöhnlichen Alle-
gorie sind keineswegs müßig, denn sie erweisen,
daß Pietro da Cortona, wie vor ihm wahrschein-
lich schon Venius, weithin vertraute komposito-
rische und semantische Modelle zu korrelieren
und für die Rezeption seines Werks nutzbar zu
machen versuchte.
Wir kommen damit zur Frage nach der
Funktion einer solcher Allegorie: Wie Doku-
mente zum Florentiner Hofzeremoniell zeigen,
waren die Planetensäle den wichtigsten Audien-
zen des Großherzogs vorbehalten. Insbesondere
ausländische Potentaten und deren Botschafter
wurden hier empfangen oder warteten auf ihren
Empfang.34 Selbstverständlich hatte – das zei-
gen schon die Stuckporträts der Medicimänner
und das in die Dekorationen integrierte Medici-
Wappen – die Ausstattung dieser Säle etwas mit
der Medici-Dynastie zu tun. Und doch muß die
auf Filippo Baldinucci zurückgehende Formel, Adressat der Dekorationen sei der Princeps ge-
wesen, genauer erläutert und nicht zu konkret
auf den Thronfolger Cosimo bezogen werden.35
Elisabeth Oy-Marra hat vorgeschlagen, zeitge-
10: Agostino Carracci nach Jacopo Tintoretto, Versuchung
des Hl. Antonius, Kupferstich
33 Vgl. B. Bohn, Prints and Related Drawings by the Carracci Family. A Catalogue Raisonné, Washington 1979, S.
196–197, Kat. Nr. 101. Beschriftet Antonius, cum Demones vario sub aspectu ipsum infestantes / perpetua patientia su-
perasset, viso Domino confortantur [sic].
34 E. Oy-Marra, Pietro da Cortona e il linguaggio della decorazione secentesca: proposte per una rilettura degli affre-
schi di Palazzo Pitti, in: C. L. Frommel/S. Schütze (Hrsg.), Pietro da Cortona (Atti del convegno internazionale,
Roma/Firenze 12.11.1997–15.11.1997), Mailand 1998, S. 163–175.
35 Filippo Baldinucci, Notizie dei professori del disegno da Cimabue in qua (1681–1728), Florenz 1845–57, F. Ranalli
(Hrsg.), repr. Florenz 1974–75, Bd. 2, S. 420: Sotto la distinzione de’pianeti si dimostra l’istruzione del principe datagli
da Ercole. Ähnlich verkürzend und damit für heutige Leser mindestens ebenso mißverständlich formulierte Joachim
von Sandrart, Teutsche Academie, Nürnberg 1675, Bd. 2, S. 201: [Cortona hat] dem Herzog / der damals noch jung
/zu Nachfolg der Tugend und Antrieb/ lauter tugendreiche Historien vorgebildet; das obriste gröste Stuck des Gewölbs war
eine schöne nackende Venus, so mit aufgeflochtenem Haar auf einem Bett / mit allerley anderen lasciven Weibsbildern
und der Liebe / auch mit Cereris und Bacchi Früchten gezieret liget / von deren Gesellschaft ein zarter schöner Jüngling /
durch Antrieb Minervens / hinweg lauft / und auswarts zu der Tugend Herculis sich begibet / unangesehen die anderseits
stehende Saturen / Bacchanten und arkadische buhlerische Nymfen samt ihren Wollüsten / demselben vergeblich zuruffen
/ in folgender Unterschrift: Adolescentiam Pallas a Venere avellit, Radix amara Virtutis, fructus suavis.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur