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lEUSCHNER80
oder Tugendpersonifikation) von dieser Göttin
fortführt, aufgegriffen wurden.46 Selbst Michael
Willmanns „Triumph des Tugendhelden über
die Welt“ (1692) an der Decke des Refektoriums
in der Prälatur des schlesischen Klosters Leubus (Abb. 11) zitiert – was angesichts des klerikalen
Kontextes heute verwundern mag – großzü-
gig aus dem allegorischen Inventar Pietro da
Cortonas.47
LUCA GIORDANO: DIE FRANKFURTER ALLEGORIE
Luca Giordano (1632–1705) schuf seine Alle-
gorie der „Versuchungen der Jugend“ (Abb. 12,
12a) gemäß der Datumsaufschrift im Jahre 1664.
Das Bild wird in alten Inventaren der Samm-
lung Liechtenstein als „La gioventù combattu-
ta dai vizi“ betitelt.48 Schon Georg Swarzenski
(1922) setzte es mit dem Stich des Pieter Perret in
Beziehung.49 Wie kaum zu übersehen ist, muß
Giordano auch Pietro da Cortonas Deckenbild im
Palazzo Pitti gekannt haben.
Die Forschung hat den Grund für kompo-
sitorische Änderungen Giordanos gegenüber
Perret in einer Variation der Botschaft des Bildes
vermutet, die vor allem damit zusammen hänge,
daß Perrets „Armut“ rechts unten vom Neapoli-
taner durch einen am Boden links vorn lagern-
den jungen Mann ersetzt worden ist. In dieser Figur hat auch Swarzenski, vor allem wegen der
Beule am Hinterkopf, Girolamo Fracastoros
„Hirten Syphilus“, den dichterischen Namens-
geber der Geschlechtskrankheit und damit eine
Allegorie der Syphilis sehen wollen.50 Das ist
möglich, und doch besteht die Gefahr, daß mit
solchen Überlegungen ein semantisches Detail
zum Wesen des Bildes erklärt wird. Am wahr-
scheinlichsten erscheint, daß die fragliche Figur
im Frankfurter Bild, wie zuvor bei Perret, die
„Armut“ personifiziert – und zwar nicht als „La
Povertà“, sondern als „Il Povero“.51 Belegen läßt
sich dies u.a. durch ein in einem alten Photo be-
zeugtes und (nachträglich?) „1663“ datiertes und
signiertes Bild52 aus der Werkstatt Giordanos, das
den „Reichen Mann und den armen Lazarus“
darstellt (Abb. 13): Der links vorn hockende arme
46 Zum Deckenbild von Sebastiano Ricci in Schönbrunn vgl. H. Lorenz (Hrsg.), Geschichte der Bildenden Kunst in
Österreich, Bd. IV: Barock, München u.a. 1999, S. 331–332.
47 H. Lossow, Michael Willmann (1630–1706). Meister der Barockmalerei, Würzburg 1994, Abb. A 204 (der liegende
Bacchus unten ist natürlich ein Zitat nach Ribera). Wie auch die übrigen barocken Ausstattungen in Leubus zeigen,
hatte das Kloster engste Kontakte zum Habsburgerhof und war damit – neben seinen anderen Funktionen – ein
wichtiger Ort dynastischer Repräsentation.
48 O. Ferrari/G. Scavizzi, Luca Giordano, Neapel 1992, Kat. Nr. A 167; E. Leuschner, Giordanos graphische Vorla-
gen. Überlegungen zu Bildern in Frankfurt und Braunschweig, in: Pantheon 52, 1994, S. 184–189; Prohaska, Luca
Giordano (zit. Anm. 2). Es ist nicht bekannt, ob der verlorene Originalrahmen eine Inschrift trug.
49 G. Swarzenski, Un Quadro di Luca Giordano in Francoforte sul Meno, in: Bollettino d’Arte, 2, 1922/23, S. 17–21.
50 Swarzenski, Un Quadro di Luca Giordano (zit. Anm. 49), ebenda. E. Panofsky, Homage to Fracastoro in a
Germano-Flemish Composition of about 1590?, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 12, 1961, S. 1–33.
51 Lukas 16, 20–21 (Vulgata): Et erat quidam mendicus, nomine Lazarus, qui iacebat ad ianuam eius, ulceribus plenus,
cupiens saturari de micis quae cadebant de mensa divitis, et nemo illi dabat; sed et canes veniebant et lingebant ulcera
eius.
52 Kunsthistorisches Institut Florenz, Photothek, Maße des Bildes und aktueller Standort unbekannt; nicht bei
Ferrari/Scavizzi, Luca Giordano (zit. Anm. 48). Vgl. auch ein Lazarus-Gemälde im Fogg Art Museum, Cam-
bridge/Mass., das auf ein Original Giordanos aus den 1680ern oder 90ern zurückgehen muß (E. Peters Bowron,
European Paintings before 1900 in the Fogg Art Museum, Cambridge/M. 1990, S. 347, Abb. 732). Die Komposition
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur